Beginnen wir mit einem kleinen Ratschlag: „Wenn ein Freund eine Synthesizer-Empfehlung ausspricht, sollte man dies NICHT (!) ignorieren.“ Ein Ratschlag, der kostenlos ist, der zugleich aber auch die Lebensqualität des Brav-Folge-Leistenden durchaus ein wenig erhöhen kann. Möglicherweise.
Da ich offenbar beratungsresistent bin und den Hinweis „Kaufe dir einen Waldorf Streichfett“ lange Zeit ignorierte, gab es viele Jahre ohne jene Sternstunden, in denen vollpolyphone Vintage-Chöre und nasale Streicher-Klangteppiche durch das Studio hallten. Selbst schuld.
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Dabei hätten die inneren Sensoren auf die Empfehlung sofort reagieren müssen. Schließlich kam der Tipp nicht von irgend jemandem, sondern von einem sehr guten Freund (nennen wir ihn einfach mal „Stefan“, denn so lautet sein Name), der ein exzellenter Synthesizer-Spezialist und ein ebenso exzellenter Musiker ist.
Wie dem auch sei: Es dauerte bis Anfang 2018, um den „Fauxpas des Nicht-Besitzes eines Waldorf Streichfett String Synthesizers“ endlich auszubügeln. Und seither erklingen sie, die röchelnden Chöre, gruseligen Streicher und andere charaktervolle „Timbres mit Vintage Vibes“, seither erwecken sie das Studio zu ungeahntem Leben.
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Eine Klang-Idee: Der Weg zum Streichfett
Kurz, wie es schließlich zum Kauf den Streichfett kam. Drei Jahre beherztes Ignorieren eines Ratschlags – dieses Eis bricht nicht einfach so ohne Weiteres, da kommt die späte Erleuchtung ja keineswegs aus dem Nichts.
Es war eine Klang-Idee, die vor dem inneren Auge (besser: inneren Ohr) entstand. Eine Klang-Idee, die mir die enorme Nützlichkeit des Instruments plötzlich wie auf dem Präsentierteller offenbarte: Die Kombination des Waldorf Streichfett mit einem weiteren Instrument, etwa einem Analogsynthesizer mit MIDI. Sprich: Unbegrenzte – wenn auch digitale – „Polyphonie mit Charme“ zusammen mit analoger Wärme eines „echten“ Vintage-Synthesizers.
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Gedacht – getan. Für etwas mehr als 250 Euro kam der Streichfett ins Studio. Als Kompagnon im Gespann – es ging um einen Vintage-Synthesizer mit MIDI – wurde der Elka Synthex auserkoren.
Von der ersten Sekunde an (Arbeitsschritte: beide Instrumente mit MIDI verbinden, Streichfett-Chöre/Strings aktivieren, Synthex-Chöre/Strings aktivieren) trat das Erhoffte ein: Massive Klangteppiche, die den Charme der alten String-Maschinen haben, zugleich aber – obwohl digitale Technik im Spiel ist – Elemente des analogen Klangcharakters beinhalten – wie „Bauch“ und „Wärme“ im Bass-Bereich, oder das Surren eines BandPass-Filtersweeps, oder organische Pulsweitenmodulation … kurz: Entscheidende „Extras“ im ganzheitlichen Klanggefüge, ideale Ergänzungen rund um den Waldorf Streichfett.
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Zudem – und nun wird es puristisch – haben Vintage-Synthesizer mit MIDI meist keine anschlagdynamische Tastatur. Auch Pitchbend- und Modulationsrad-Daten werden oft nicht übermittelt. Ein echter Pluspunkt (in diesem Fall), denn so entspricht das Ansteuern des Streichfett einer möglichst realistischen Umsetzung des String-Maschinen-Gedankens: Da gibt es nur Note-On/Note-Off, mehr nicht!
[ Letztlich, zugegeben, war es (wieder einmal) der hervorragende Step-Sequencer des Elka Synthex, der die musikalische Partnerschaft perfektionierte. Ein wesentlicher Teil der angefügten Soundfiles ist durch parallele Ansteuerung von Synthex / Streichfett via besagtem 4-Sour-Recorder entstanden. ]
Für solche „Experimente“ (Vintage-MIDI-Masterkeyboard zur Steuerung des Streichfett + Zugabe der eigenen analogen Sounds) kommen im klassischen Bereich neben dem Elka Synthex noch der Memorymoog Plus, Oberheim OB-8, Roland Jupiter-6 sowie jene Polyphonen mit nachgerüstetem MIDI-Interface in Frage.
Im modernen Bereich ist die Auswahl noch im Wachsen begriffen: Dave Smith / Sequential Prophet-6, Rev. 2, inzwischen Prophet-5 Rev.4 bzw. Prophet-10, Moog ONE, Baloran The River (auch mit exzellentem Sequencer!), zudem Oberheim OB-6, Roland JD-XA, Korg Prologue, Novation Summit und so manch andere Analogsynthesizer bieten sich als „besondere“ Partner / ideale klangliche Ergänzung zum Waldorf Streichfett an. Und ja: Auch die weitere Signalverarbeitung des Streichfett durch ein externes Filter ist ein lohnendes Thema. In unserem Fall mittels eines GRP A4 Studio-Synthesizers …
Weniger ist mehr
Die Fakten des Streichfett sind schnell erklärt:
- Klang-Modul zur Erzeugung von polyphonen Vintage-Sounds
mit Schwerpunkt Streicher und Chöre (Flächenklänge) - STRINGS-Abteilung: 128-stimmige Polyphonie
– Strings (Violin, Viola, Cello)
– Brass
– Organ
– Choir - SOLO-Abteilung: 8-stimmige Polyphonie
– Bass
– E-Piano
– Clavi(net)
– Synth(esizer)
– Pluto (?)
- Effekt-Abteilung
– Animator
– Phase
– Reverb - 12 Speicherplätze
- Stereo Audio Out
- Headphones Out
- MIDI, USB
STRINGS – Oktav-Schichtungen und Überblendungen (Morphen)
Die Sounds der STRINGS-Abteilung können oktaviert bzw. mit Grundton „und“ Oktave auch gedoppelt werden (Einstellungen: Base / 8va / Both). Anstieg- und Abklingzeiten lassen sich – sehr schön – in einem weiten Bereich regeln. Und schließlich: Per Drehung am Registration-Knopf kann man von einem Sound zum nächsten morphen (!) – so zu hören in einigen der angefügten Klangbeispiele.
Ein zuschaltbarer Chorus-Effekt (ENSEMBLE) mit drei unterschiedlichen Modi bringt schließlich den typisch wabernden String- bzw. Chorus-Sound der späten 70er-/frühen 80er-Jahre vollends zur Geltung.
SOLO – Stereo-Effekt durch Tremolo
Die SOLO-Abteilung kann als Layer (zu den Strings) gespielt oder via Keyboard gesplittet werden (Ergebnis: Die klassische Aufteilung von String-Begleitung und Solo-Sound). Neben zwei Hüllkurven-Modi und den obligaten Zeit-Reglern (Attack + Decay/Release) sorgt vor allem der TREMOLO-Effekt für Vintage-Feeling. Schön in stereo und in der Geschwindigkeit wie Intensität mit einem Regler gut bedienbar.
Balance (Mix)
Wichtig für schnelles Sound-Design: Hier lässt sich das Lautstärke-Verhältnis zwischen (bzw. die Separierung von) STRINGS- und SOLO-Sounds einstellen.
Effekte
Auch diese kleine Abteilung ist wichtig, denn Animator (Vibrato-LFO), Phaser und Hall sorgen für zusätzliches Leben (und Raum) im Klang. Alle drei Effekte können gleichzeitig verwendet und separat eingestellt werden.
Speicherplätze
12 Memories, immerhin. 3 Bänke zu je 4 Sounds können abgerufen bzw. auch abgespeichert werden. In Zeiten der (erschreckenden) 5000+Sounds-Library-Synthesizer-Monster ist die geringe Auswahl des Streichfett eine echte Wohltat. Hier verliert man nie den Überblick. Und ja: So wenig es an „Features“ und Klängen zu berichten gibt, so erfreulich ist der Umstand zugleich. Denn im Fall des Waldorf Strichfett bedeuten die geringen Möglichkeiten keine (oder nur geringe) Einbußen in der Musik: Das Dutzend an vorhandenen Klängen ist durchwegs exzellent.
Der Streichfett ist somit ein handfestes Plug & Play Instrument. Die wenigen Regler erlauben spontane, effektive und drastische Klangveränderungen im – welch Wortspiel – Handumdrehen. Die mächtigen Klangteppiche des Streichfett (hier wird er seinem Namen absolut gerecht) sind beeindruckend.
Und wer dem Gedanken der Koppelung von Instrumenten nicht abgeneigt ist (etwas, das gerade das Konzept des Streichfett an sich ja obsolet machen „sollte“), der wird seine musikalischen Sternstunden nochmals erweitern. Die bemerkenswerte Vollpolyphonie macht diesen String Synthesizer zum Zauberkünstler, zum kleinen David (in Wirklichkeit Goliath), der im Studio groß aufdreht.
Via modernem Masterkeyboard (vorzugsweise mit 76 oder gar 88 Tasten) lassen sich gewaltige Klangteppiche legen und gekonnte Pitchbend- und Modulationsrad-Performances umsetzen, wobei der Pitchbend-Bereich in diversen Stufen bis zu einer Oktave programmierbar ist und das Modulationsrad die Vibrato-Intensität der STRINGS- bzw. SOLO-Sounds beeinflusst.
Vintage-Klang mit ‚etwas‘ Schärfe
Der Sound des Streichfett ist grandios. Lebendig, organisch, röchelnd, gruselig. Vollflächig, dramatisch, unheimlich. Die Kombination von Oktavlagen und Morphing der STRINGS-Sounds erzeugt mit diversen Mutationen (Ensemble ja / nein, Phaser, Animator, Hall, variierende Release-Zeiten, etc.) stattliche Nicht-Mainstream-Sounds. Bombastische Cinemascope-Flächen, die man durch die spektakulär einfache Bedienung im Sekundentakt der Musik anpassen kann.
Wobei selbst bei den reduzierten Möglichkeiten des Streichfett gilt: Noch weniger ist vielleicht noch mehr! So klingen die STRINGS „ohne“ Ensemble-Effekt etwas knöchern und hart, zugleich jedoch charaktervoll „eigen“. Diese trockenen Sounds à la Violin, Cello, Brass, etc. eignen sich zudem auch erstaunlich gut als „Solo“ Instrumente …
Natürlich sind auch die Klänge der tatsächlichen SOLO-Abteilung absolut brauchbar (sie bilden per se ja nicht unbedingt den Kern des Instruments). Hier sei der Tremolo-Effekt im Speziellen zu erwähnen, da er ein grandioses Panorama-Bild erzeugt. Mischt man eine feine Brise dieses Stereo-Klanges zu den STRINGS, landet man direkt in der Streichfett-Königsklasse.
Ganz Friede-Freude-Eierkuchen ist der Gesamtklang für Puristen wohl dennoch nicht. Wobei man – zumindest teilweise – extern etwas nachhelfen kann, um ein „noch“ stimmigeres Klangbild zu erzielen …
Einfache Optimierung des Klangbildes
Es geht im Wesentlichen um zwei Punkte. Erstens ist der Gesamtklang etwas hart. Typisch Waldorf, würden böse Zungen nun sagen, doch das stimmt so nicht ganz. Typisch digital, wäre wohl die korrektere Überlegung. Hier lässt sich mit externem EQ allerdings etwas nachhelfen: Höhen absenken, Bässe etwas anheben.
[ Das leichte analoge Rauschen im Audio-Pfad der Vintage String-Maschinen – mit verantwortlich dafür, was oft als „Wärme im Klang“ bezeichnet wird – bekommt man selbstredend nicht geliefert … doch so weit dürfte der Wunsch nach Authentizität wohl ohnehin kaum gehen. ]
Punkt zwei ist die Beobachtung, dass am Streichfett im Wesentlichen nur eine einheitliche Dynamik existiert, unabhängig von der Polyphonie. Ob nun ein Ton oder ein ganzes Arsenal an Tönen erklingt, der Pegel ist – so sagt es das Gehör – hier wie da gleich. Auch dies ist ein Markenzeichen digitaler Technik. Und damit keine Kritik, denn nur eine Feststellung.
Tipp: Externes VCF zur Klangverarbeitung
Nachdem auch schon bei den originalen String-Maschinen bzw. Multi-Keyboards dynamische Klangveränderungen nur eingeschränkt erreicht werden konnten (z.B. durch Register-Wechsel), bietet sich auch beim Streichfett eine einfache Lösung an: Die Signalverarbeitung via externem VCF. Oder via zweier VCFs, für Stereo-Effekte.
In unserem Fall wurde der Streichfett beispielsweise durch den Audio-Eingang des GRP A4 (und somit durch dessen doppeltes VCF) geschickt, für jene klassisch „zerhackten“ Klangteppiche bei modulierten Filtern – so zu hören in DEMO 1.
Betreffend externer Klangveredelung sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Das Bedürfnis nach Filterung des Streichfett-Sounds überkommt mich jedenfalls regelmäßig. So herrlich (und mächtig) die Klangteppiche auch sind, so sehr wünscht man sich – ab und an – die Verdunkelung und erneute Aufhellung des Klanges. Nun, mit externer Filterung geht das wunderbar* …
[* An aller erster Stelle würde sich hier das Waldorf 2-Pole VCF anbieten. Baugleich zum Streichfett, bilden beide Einheiten klanglich wie optisch eine Symbiose.]
Streichfett + Vocoder + Keyboard = STVC
Ganz kurz: Der neue Waldorf STVC ist im Wesentlichen ein Streichfett mit Vocoder und Keyboard (und erweitertem Programmspeicher). Wer also Geschmack am Klang des Streichfett findet, hat die alternative Keyboard-Variante zur Auswahl …
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Gordon Reid kommt in seinem exzellenten SoundOnSound Bericht übrigens zu dem nicht ganz überraschenden Schluss, das der Waldorf Streichfett (und somit auch der STVC) tatsächlich nach keinem der großen String-Maschinen-Klassiker klingt. Das wäre allerdings – angesichts der verwendeten (digitalen) Technik – auch ein wenig viel verlangt. Schließlich aber ändert es nichts daran, dass Streichfett / STVC exzellente Musikinstrumente sind. Gordon Reids Erkenntnisse seien dennoch der Vollständigkeit halber erwähnt.
Ein Königreich für den Waldorf Streichfett
Wirklich? Ist das Instrument so gut? Zugegeben, bei genauer Betrachtung wäre ein solcher Tausch nicht von der Hand zu weisen. Denn ein Königreich bedeutet in jedem Fall viel Verwaltung, viel Stress und nicht selten getrübte Harmonie (man denke an all die Untergebenen, ihre Intrigen, Extrawünsche und obszönen Gehaltsforderungen). Der Streichfett hingegen bedeutet Entspannung, Entschleunigung (sehr wichtig) und Ausgeglichenheit. Qi Gong für die Ohren!
Musikalisch ist man mit dem Streichfett so unmittelbar und so entspannt am Geschehen, wie nur irgendwie möglich. Das vorbildlich einfache Konzept sowie bestimmte, herausragende Merkmale (128-stimmige Polyphonie, manuelles Überblenden von Brass zu Organ zu Choir …), das alles bedeutet musikalische Unmittelbarkeit und in gewissem Sinne auch künstlerische Freiheit, wie man sie im modernen Tonstudio nur sehr selten antrifft.
Und dennoch: Trotz des sehr einfachen Waldorf Streichfett Konzepts reichen seine Möglichkeiten so weit aus, um beinahe unendliche Variationsmöglichkeiten an Klängen und Klang-Verschiebungen zu erhalten. Klänge, die stark an den Charakter der großen Streich-Synthesizer und Multi-Keyboards der 70er- und frühen 80er-Jahre erinnern, an die spezielle Magie der Vintage-Sounds.
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Streichfett Demo by Jürgen Driessen:
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Neben den atemberaubenden Strings und Chören (und manchen Tremolo-Solo-Sounds) des Waldorf Streichfett sind zu hören: Elka Synthex (für Pads, Filter-Sweeps und Sequenzen), Oberheim OB-8 (für tiefe Einzeltöne), GRP A8 (für Stereo-Sequenzen), GRP A4 (zur Signal-Verarbeitung des Streichfett via Doppel-VCF) sowie der Roland TR-808 Rhythm Composer.
Waldorf Streichfett String Synthesizer
Polyphoner Digitaler Desktop-Synthesizer (bis zu 128 Stimmen)
im Stil der Vintage String-Maschinen
Preis: ca. 299 Euro
(10/2023)
Website Hersteller:
waldorfmusic.com
Links / Vergleiche:
Waldorf Streichfett Bericht von Gordon Reid (Sound On Sound)
Testbericht Waldorf Rocket
Open / Download:
Waldorf Streichfett Foto XL (3600 x 3000px)
Hallo Hr Bloderer,
sehr interessanter Test.
Betreibe den SF mit einen DM12 (net schimpfa).
Das Duo drückt kräftig. Wenns dann immer noch nicht reicht hau ich noch n Nordlead A1 obendrauf …
Da wird der Tritonus zum Tinnitus… :-)
… oh, über den DM 12 wird nicht geschimpft. Viel Leistung für günstiges Geld. Deep Mind eben … Schön, dass sich das DUO Waldorf-Behringer so gut ergänzt …
I’m thinking this may struggle to sell in large numbers, because of competition of just about every synth, from entry level home keyboards to €3000 ones. Love the demo tracks here. The sounds are deep in Tangerine Dream territory.
Actually it’s still available, so I’d say that Waldorf hit a nerve and Streichfett sold well.