Rhodes/Fender CHROMA Polaris – Kaffee, extra Milch?

Der CHROMA Polaris ist eine bemerkenswerte amerikanisch-japanische Mischung. Während er den unverkennbaren amerikanischen Sound hat – dynamisch, laut, wuchtig und lebendig, bezeugen sein Erscheinungsbild und seine Hardware eine unverkennbare japanische Bauweise – elegant, modern, solide und zuverlässig.

Chroma Polaris Synthesizer

Was nun wie „Der Synthesizer aus der Wundertüte“ klingt, präsentierte sich im Erscheinungsjahr 1984 ganz anders. Digital war „in“, Analog war „out“ … speziell betreffend teurer Instrumente! Da halfen weder Membran-Taster, Sequenzer, Anschlagdynamik, MIDI oder modernste Design-Ideen: Die seit Jahren vorherrschende und beim Polaris zum Einsatz kommende Klang-Architektur von VCO-VCF-VCA galt als altbacken, die Sounds „serviceable in a ‚tired analog‘ sort of way“ (Julian Colbeck). Zudem war der Konkurrenzdruck im Bereich der Poly-Analogsynthesizer enorm – vor allem durch günstigere Instrumente seitens der Firmen Roland und Korg.

Darüber hinaus hatte es der Polaris in ganz anderer Hinsicht schwer. Kurz vor Produktionsstart wurde die gesamte Herstellung von den USA nach Japan verlegt, was zu mindestens sechs Monaten Verzögerung führte … und ein halbes Jahr bedeutete viel, wenn es darum ging, eines neues Instrument zu veröffentlichen. Wenige Monate bevor der Polaris dann endlich im September 1984 in Produktion ging, beschloss der Mutterkonzern CBS den Verkauf der Marke Fender, was den Stopp der verfügbaren Werbemittel und Einschränkungen im Service (Betreuung der Musikhäuser etc.) zur Folge hatte.

Chroma Polaris Synthesizer

Da der Polaris zum selben Preis wie der Yamaha DX7 angeboten wurde (USD 1995,–), gestaltete sich die Situation bei Markteinführung dann als eine weitere, große Herausforderung. Das Instrument wurde zwar letztlich kein echter Flop – die Verkaufszahlen sollen über denen des (zugegeben doppelt so teuren) Rhodes CHROMA gelegen haben, von dem in Summe ca. 1500 Exemplare produziert wurden (mit CHROMA Expander) – doch war der Erfolg immerhin bescheiden genug, dass Fender 1986 die Stilllegung seiner Keyboard-Abteilung beschloss.

Aus heutiger Sicht darf man dennoch ein Loblied anstimmen auf jene Verantwortlichen rund um CBS/Rhodes/Fender, die nach dem CHROMA nochmals grünes Licht gaben und den CHROMA Polaris ins Leben riefen. Wie kaum ein anderes Instrument vereint er den Good Old Vintage Sound mit einer stattlichen Anzahl an Klang-Reglern und neuesten Features (MIDI-CC Werte senden / empfangen etc.). Er ist einer der seltenen „mächtig klingenden“ Dual-VCO Poly-Analogsynthesizer, die den Sprung in die Moderne bereits 1984 absolviert haben.

Chroma Polaris Synthesizer

Kaffee, ohne Zucker, mit extra Milch?
Das Äußere des Polaris …

Der britische Profi-Keyboarder und Journalist Julian Colbeck hat es in einem Testbericht anno 1986 sehr gut auf den Punkt gebracht: Das Äußere des Polaris erinnerte ihn umgehend an einen Getränke-Automaten aus der Kantine …

„The Polaris is totally at odds with the mid-eighties ’sleek and subdued‘ look, perfected by the Japanese. With the program select buttons and the many management controls represetend by a host of pressure-sensitive pads (in varying shades of designer blue), the Polaris has all the hi-tech pazazz of a canteen drink-dispenser.

Up to 132 programs can be stored. These are recalled using letters and numbers, from A-K and 1-12. B9? Is this the helicopter patch or coffee, no sugar and extra cream?“

(Julian Colbeck, Keyfax 2, Seite 112)

Chroma Polaris Synthesizer

Von solch humorvollen Assoziationen abgesehen, gestaltet sich das Äußere wie folgt: Bei den Maßen von 99,5 x 37,5 x 11,5 cm (L x B x H) bringt es der Polaris auf stolze 19 (!) Kilogramm. Ebenso stolz ist die Leistungsaufnahme von 100 Watt! Elegant geschwungene Holz-Seitenteile in Schwarz umrahmen ein solides Chassis, das mit Membran-Tastern und großzügigen Fadern bestückt ist.

Neben dem 61-Tasten-Keyboard mit Anschlagdynamik finden sich zwei Levers (Bender), die für MOD und PITCH zuständig sind. Rückseitig gibt es abseits der Audio-Ausgänge (LOW und HIGH Output, HEADPHONES) noch diverse Sync-, Tape- und Controller-Buchsen, sowie das spezielle CHROMA Interface und MIDI IN bzw. MIDI OUT (als THRU schaltbar).

Chroma Polaris Synthesizer

Qualität der Hardware?

Zur Qualität des Polaris existieren unterschiedliche Aussagen. Unsere Erfahrungen mit dem hier abgebildeten Exemplar (wir haben das Instrument seit mehr als 20 Jahren): Dies ist einer der wertigsten Poly-Analogsynthesizer, den wir je in Händen hatten. Exakt und präzise verarbeitet, präsentiert sich der Polaris als haptische Sensation und optische Augenweide. Die Membran-Taster mit LEDs sind spacig-modern, die maskulinen Fader ein Genuss, die Tastatur ist ebenso funkig wie nuanciert spielbar (ok, fast „zu“ nuanciert, um ehrlich zu sein).

Service – was war bisher zu tun? Das Netzteil erforderte gleich zu Beginn ein Recap, die im Laufe der Jahrzehnte brüchig gewordenen Membrantaster-Folien – „DIE zentrale Problemzone aller Polaris-Exemplare“ – mussten getauscht werden (es gibt inzwischen Ersatz aus den USA) und die VCAs benötigten mehrfach Kalibrierungsprozesse (damit die Hüllkurven ganz ausklingen). Davon abgesehen: Keine Klagen, ganz im Gegenteil. Welch edles und wunderbar verarbeitetes Instrument! Peter Forrest sieht das allerdings nicht ganz so positiv, stellt er doch in seinem Artikel zum Polaris nüchtern fest: „Question marks over quality control.“

Chroma Polaris Synthesizer

Fazit: Unsere Erfahrungen mit Hardware und Serviceaufwand sind sehr gut, doch muss dies nicht der Regelfall sein. Dass der Polaris darüber hinaus in vielen Details ein sehr spezielles Instrument und eventuell „nicht jedermanns Sache“ ist, darauf kommen wir noch zu sprechen …

Aufbau

Der CHROMA Polaris bietet …

  • 6 Stimmen mit je:
  • 2 VCOs (6x CEM 3374 Chip)
  • VCF und VCA (6x CEM 3372 Chip)
  • ADSDR Hüllkurve (Software) für den VCF
  • ADR Hüllkurve (Software) für den VCA
  • LFO (Software) … insgesamt 6 LFOs (!), CV-steuerbar
  • Digitales Rauschen (MM5837 Noise Generator Chip)

Chroma Polaris Synthesizer

  • Pulsweiten-Modulation (geht für Puls und Sägezahn!)
  • Spezielles Tuning-Feature der beiden Oszillatoren
  • Oszillator-Synchronisation
  • Ring-Modulator (!)
  • Split-Sounds (LINK UPPER / LOWER)
  • Layer-Sounds (LINK UNISON)
  • Dynamische Stimmenzuweisung

Chroma Polaris Synthesizer

  • Polyphones Glide (aktivierbar via Pedal)
  • Tonhöhe, Filterfrequenz und Lautstärke via CV steuerbar
  • MOD und PITCH Lever pro Sound programmierbar
  • Selektives Pitch Bend Feature für „Pedal Steel Guitar“ Effekte
  • 132 Sounds und bis zu 12 Sequenzen im Speicher
  • Anschlagdynamik für VCF und VCA (nur On/Off)
  • Umfangreiche MIDI-Funktionen

Chroma Polaris Synthesizer

Stärken

Neben der schon erwähnten exzellenten Hardware sind es die Klangmöglichkeiten und der Charakter der Sounds, die eindeutig für den Polaris sprechen. Die Stärken im Detail:

Hardware

Wir wiederholen uns, doch es stimmt: Kaum ein Synthesizer ist so hochwertig verarbeitet wie der CHROMA Polaris. Voraussetzung zur Überprüfung diese Aussage: Man hat bzw. findet ein gut erhaltenes Exemplar – einen Polaris mit wenigen Vorbesitzern und mit wenig Bühnenpräsenz. Das Finden eines solchen 1A-Exemplars – ob Polaris oder Polaris II – ist anno 2024 nicht ganz leicht, aber durchaus möglich.

Software

Software mag in einem Analogsynthesizer ein zweischneidiges Schwert sein. Die Hüllkurven des Polaris sind definitiv „ok“! Stellt man die VCF Envelope-Regler auf Null, kommt „gar nichts“. Eine minimale Erhöhung der Attack bewirkt allerdings schon das schneidige „Zapp“, das vor allem im Zusammenspiel mit hohen Resonanzwerten des Filters für perkussive Ekstase sorgt. Stellt man Sustain Decay und Release (in beiden Hüllkurven) auf Maximum, gibt es HOLD.

Chroma Polaris Synthesizer

Zugegeben wären Hardware-Hüllkurven die noch elegantere Lösung für den Polaris gewesen. Doch betreffend LFO ist die Software wieder ein echter Segen. Jede Stimme (!) hat ihren eigenen LFO. Was hier soundtechnisch möglich ist, ist in den angefügten Klangbeispielen in vielen Varianten zu hören. Nur wenige Synthesizer – der Rhodes CHROMA ausgenommen – können eine solche Fülle an zeitgleichen Modulationen aufweisen. Zugegeben ist dies auch mit einem Prophet-5, Prophet T8, Memorymoog und manch anderen Synthesizern möglich, doch immer unter der Voraussetzung, dass man einen der Haupt-Oszillatoren in den LOW Modus schaltet und somit für besagte Modulationseffekte opfert. Beim Polaris bleiben beide VCOs pro Stimme erhalten.

Rund um Software muss natürlich MIDI erwähnt werden. Die (beinahe) komplette Steuerung aller Parameter via MIDI ist eines der Highlights, mit dessen Hilfe der Polaris auch mit modernsten Analogsynthesizern auf Augenhöhe steht. Hier allerdings mit dem Zusatz, dass der bombastische Klang und die druckvolle Dynamik in jene Vintage-Kategorie fällt, die modernste Analogsynthesizer (in der Regel) nicht zu bieten haben. Womit wir zum …

Chroma Polaris Synthesizer

Sound

des Polaris kommen. Diesen Klang in wenigen Worten zu beschreiben ist nicht so einfach. Stichworte wären: massiv, durchdringend, aggressiv, dynamisch und – je nach Einstellung – lyrisch. Geräuschhaft-experimentell, nicht zu vergessen. Der Sound weckt immer wieder Erinnerungen an den Prophet-5, zuweilen auch an den Memorymoog. Der analoge Charakter steht jedenfalls im Vordergrund, doch auch scharfe Klänge mit digitalem Flair sind eine wesentliche Seite des Instruments. Genau genommen ist es diese Analog/Digital-Mischung, die den Polaris von vielen anderen Vintage Poly-Analogsynthesizern deutlich unterscheidet (der Rhodes CHROMA – wie immer – natürlich ausgenommen).

Was sind die konkreten klanglichen Stärken, jene Gründe, warum sich ein Kauf des CHROMA Polaris in jedem Fall (mehr als) lohnt? Unsere Einschätzung ist wie folgt …

Die Oszillator-Synchronisation klingt – sorry für den Ausdruck – göttlich. Viele Poly-Synthesizer beherrschen Osc-Sync, doch die des Polaris klingt besonders musikalisch. Vergleichbar wäre das mit dem Moog Prodigy, der in den Reihen der monophonen Synthesizer die – unserer Meinung nach – schönsten Sync-Klänge erzeugt. Bei den polyphonen Synthesizern geht die Auszeichnung an den Polaris.

Chroma Polaris Synthesizer

Die Ring-Modulation – für sich schon eine Seltenheit inmitten der Polysynths – überzeugt nicht minder. Ein wesentlicher Teil der „effektiven“ Ring-Mod-Sounds hat mit dem besonderen Transpose-System der Oszillatoren zu tun. Aufmerksamen Beobachtern ist natürlich längst aufgefallen, dass es beim Polaris keine Fußlagen gibt. Das Festlegen der Grundstimmung erfolgt wesentlich einfacher …

Man drücke TRANSPOSE und eine beliebige Taste am Keyboard – Voilà: Der neue Grundton des betreffenden Oszillators. Das Gleiche wiederholt sich für den zweiten VCO. Es geht aber sogar noch effizienter: Aktiviert man beide TRANSPOSE Funktionen und drückt zwei Tasten des Keyboards hinter einander, so wurde die Grundstimmung beider VCOs geändert. Konkretes Beispiel rund um den Ring-Modulator: 2x TRANSPOSE aktivieren, dann tiefstes C und höchstes H drücken – maximale unharmonische Distanz der Oszillatoren – schon hat man den perfekten Ring-Mod-Klang.

Chroma Polaris Synthesizer

Der Sound des Filters ist sehr speziell. Wenngleich ein quasi gewöhnlicher CEM-Chip zum Einsatz kommt, ist das klangliche Resultat mehr als ungewöhnlich. Vor allem die höheren Resonanzwerte bringen raunzige*, unsaubere und zuweilen sogar störende Verzerrungen ins Spiel.

[ *Raunzen: bayrisch/österreichisch, umgangssprachlich für weinerlich klagen; dauernd unzufrieden sein; nörgeln. ]

Das Raunzige mag nun nerven oder – unsere Empfindung – einen ganz speziellen Charme haben, der den Polaris markant von vielen anderen Poly-Analogsynthesizern – CEM-basiert oder nicht – abhebt. Das Instrument kann gar nicht in die Schiene des auf Dauer etwas drögen SynthPop-Gedudels verfallen.

Chroma Polaris Synthesizer

Schließlich zeichnet den Polaris noch ein außergewöhnlich großer Dynamikbereich aus. Velocity macht’s möglich, hier TOUCH genannt. Sowohl für die VCF- als auch für die VCA-Hüllkurve aktivierbar, lässt sich TOUCH tatsächlich nur ein- oder ausschalten, doch das klangliche Ergebnis der aktivierten Velocity ist enorm überzeugend. Auch im Zusammenspiel mit dem speziellen Filterklang, denn die tastendruckabhängige Modulation der Filterhüllkurve / Filterfrequenz erzeugt lebendige Analogsounds par excellence.

Im Detail gäbe es noch viele weitere klangliche Besonderheiten, doch das sind unsere Highlights des Polaris: Osc-Synchronisation, Ring-Modulation, spezieller Filterklang, großer Dynamikbereich.

Die vielen Facetten rund um den ASSIGNABLE CONTROL Bereich runden das Bild nochmals ab. Diese betreffen den Klang, aber auch die Performance und stellen ein gelungenes Beispiel für ein durchdachtes Synthesizer-Konzept dar … so lässt sich – als Beispiel – das Keyboard während des Spiels via Pedaldruck um eine Oktave nach oben versetzen, womit man ohne hörbares Umschalten 6 Oktaven Spielumfang zur Verfügung hat, genaues Betätigen des Pedals vorausgesetzt.

Chroma Polaris Synthesizer

ASSIGNABLE CONTROL bedeutet: EIN Regler für 14 Parameter! Hätte man alle Parameter mit eigenen Fadern versehen, wäre der Polaris zu groß und zu teuer geworden. So hat man nun auf die Funktionen nicht verzichtet und sie dennoch gut zugänglich gemacht. Ein perfekter Kompromiss …

Spezielles

Wir wollen diese Aspekte nicht „Schwächen“ nennen. Es sind spezielle Dinge, die den Polaris als einen typischen Synthesizer der 80er-Jahre charakterisieren und die ihn etwas gewöhnungsbedürftig machen. Halten wir es kurz …

Grafische Gestaltung des Paneels: Ja, sie sind als Hilfe (!) gedacht – die dicken und dünnen Linien im Bereich der Regler. Sie weisen darauf hin, ob der jeweilige Fader unipolar arbeitet (in eine Richtung zunehmender Wert) oder bipolar (Werte in beide Richtungen, Mittelstellung ist Null). An sich eine gute Idee, doch für das Auge etwas verwirrend. Auch die Farben – helles Blau oder noch helleres Blau – haben in diesem Zusammenhang entsprechende Bedeutungen.

Chroma Polaris Synthesizer

Parameter-Auflösung: Sie ist ein Kind der 80er-Jahre – die dem digitalen Zeitalter geschuldete Rasterung der Parameter. Beim Polaris wurde dies durchwegs sehr gut gelöst – viele Werte reichen von 0 bis 127 bzw. von -64 bis +63 … einzig die Filter-Resonanz ist in bescheidene 8 Stufen (0 bis 7) unterteilt. Ausgerechnet die (!), muss man sagen. Tatsächlich dürfte das Problem jedoch dem CEM 3372 Chip geschuldet sein, der keine höhere Resonanz-Auflösung vorsieht.

Main Panel versus Assignable Controls: Es geht um die Aufteilung der Funktionen am Paneel. Kurz, das Hin und Her beim Programmieren bedarf etwas Übung. Beispiel Oszillatoren: Während das Einstellen der Oktav-Lagen (die es ja so nicht gibt) via Transpose am Main Panel vonstatten geht, musss man zwecks De-Tuning (Schwebungen) sowie VCO-Modulationen durch LFO bzw. ENV die Arbeit nach rechts zu den Assignable Controls verlegen. Es ist alles da, man muss es nur finden. Fazit: Nicht schlimm, aber gewöhnungsbedürftig.

Keine Lautstärke-Regelung der VCOs: Die Oszillatoren lassen sich nur ein- oder ausschalten, nicht aber beliebig zueinander mischen. Das Ausschalten funktioniert übrigens wie folgt: Pulswelle anwählen und Pulsweite auf Null setzen – nun ist der betreffende VCO stumm.

Chroma Polaris Synthesizer

Digitales Noise: Jepp, der allseits geschätzte MM5837 Noise Generator – so zu finden im Prophet-5 oder im Memorymoog – ist auch Teil des Polaris. Rauschen mit Loop-Effekt – Anfang der 80er-Jahre offenbar in Mode, klanglich allerdings nicht besonders edel.

EIN (nutzbarer) Audio-Ausgang: Die flexible Klanggestaltung rund um Split- und Layer-Sounds ist eine wunderbare Sache, doch wie schon beim Roland Jupiter-6 stellt man fest, dass es keine getrennten Audio-Wege gibt. Zugegeben, anno 1984 mag dieser Zusatz-Aufwand betreffend der damit verbundenen, komplexeren Klangarchitektur ein kritischer Kostenfaktor gewesen sein und darf nicht als Minuspunkt gelten, wir sehen es ein.

Doch auch betreffend der vorhandenen Mono-Ausgänge gibt es überraschende Wünsche. Nun sieht man HIGH und LOW OUTPUT (und HEADPHONES) und freut sich ob der Möglichkeit, zumindest das gesammelte Audio-Signal des Polaris doppelt abgreifen zu können …

Chroma Polaris Synthesizer

… zwecks Einschleifen von Effekten parallel zum trockenen Signal (als Beispiel), für unkomplizierte Pseudostereo-Klangeindrücke durch unterschiedliche Einstellungen am Mischpult (als weiteres Beispiel).

Liest man hierzu das User Manual, steht allerdings Folgendes zu lesen:

„NOTE: You can use one or the other of the outputs, but not both. If you plug cords into both jacks only the HIGH output will work. [ … ] A headphone jack is also provided; it can be used as an audio output as well, although it should not be used at the same time as the LOW or HIGH outputs.“

CHROMA Polaris, Owner’s Manual, Seite 2

Schade, also ist nur EIN Ausgang nutzbar. Wir hätten einen zusätzlichen XLR-Ausgang – so zu finden beim Roland Jupiter-6 oder Memorymoog – in jedem Fall sehr begrüßt.

Chroma Polaris Synthesizer

MOD- und PITCH-Lever: Für uns völlig ausreichend, doch für so manche Keyboarder ein No-Go sind die kleinen Levers. Sie funktionieren perfekt, arbeiten präzise und sind – wie zuvor erwähnt – pro Sound individuell programmierbar. Allerdings lässt sich nachvollziehen, dass sie für Performances auf der Bühne – mit schwungvollen und dramatischen Bewegungen des Keyboarders einhergehend – nicht die gewünschte Action liefern, folglich unter den Stage-Profis wenig begehrt sind.

Sekundäre und versteckte Funktionen: Das Arsenal an jenen Elementen, die am Paneel über LOWER FUNCTION bzw. UPPER FUNCTION zugänglich sind, ist beachtlich. Und auch die Hidden Functions sind zahlreich vertreten. Einige der Extra-Möglichkeiten findet man am Paneel beschriftet, andere wiederum nur im User Manual, wo auch im Detail steht, welche Arbeitsschritte zu tun sind.

Chroma Polaris Synthesizer

Kurzes Beispiel: Um MIDI OUT/THRU auf THRU zu schalten, muss man den MIDI Output des Polaris deaktivieren – hierfür zunächst LOWER FUNCTION drücken, dann B (Interface) und 10, 11 oder 12. Ergo: Die Bedienung kann ab und an etwas kompliziert werden.

Verlassen wir an dieser Stelle den Bereich der Polaris-Eigenheiten (die meist vertretbar sind und die Attraktivität des „Instruments als Ganzes“ nur unwesentlich schmälern) und wenden uns einer Gegenüberstellung mit seinem berühmten Vorgänger zu.

Kleiner Bruder des Rhodes CHROMA?

Als „kleiner Bruder“ des CHROMA entworfen und als solcher gehandelt, dürfte der Polaris aus heutiger Sicht mit einer gewissen erblichen Belastung zu kämpfen haben. Stimmt, er kostete anno 1984 nur die Hälfte dessen, was 1983 für den Rhodes CHROMA zu zahlen war. Doch davon abgesehen ist er weder besonders klein, noch ein konzeptioneller Ableger des CHROMA, sondern vielmehr ein durchwegs eigenständiges Instrument.

Chroma Polaris and Rhodes Chroma

Mehr noch, er ist ein eigenständiges Instrument mit klaren Vorteilen: Viele Regler am Paneel (die Soundprogrammierung geht zügig vonstatten und macht Freude), eine gegenüber dem CHROMA deutlich reduzierte Klangstruktur (die das Leben im Studio sehr vereinfachen kann), technische Zuverlässigkeit (sofern ab und an Services gemacht und vor allem die gebrochenen Membran-Paneele einmal getauscht wurden), 132 Klänge (statt 50 beim CHROMA), volle MIDI-Steuerung aller Parameter (senden und empfangen) und so manches mehr.

Natürlich geht es nicht darum, CHROMA und CHROMA Polaris gegeneinander auszuspielen – der Rhodes CHROMA ist mit seinen 16 Channel Modes ein einzigartig vielseitiger Synthesizer mit exzellenter Tastatur und von höchstem musikalischen Wert – denn die klare Eigenständigkeit des namensverwandten Polaris hervorzuheben. Das war’s dann auch schon.

Chroma Polaris Prototype

Synthesizer-Historiker dürfen sich allerdings gerne darüber streiten, ob nach dem Rhodes CHROMA (Model 2100) nun der CHROMA Polaris (Model 2120) der de facto letzte Synthesizer im Abgesang der Firma ARP war.

Polaris II und Gebrauchtmarkt

Es gibt ihn tatsächlich, den Polaris II. 1985 auf den Markt gekommen, unterscheidet er sich jedoch kaum vom originalen Polaris. Für den User können einzig die zusätzliche (an der rechten Paneel-Oberseite abgedruckte) Info-Tabelle sowie eine farbliche Variation des Logos als „Neuerung“ festgestellt werden. Da der originale Polaris ein so exzellenter Synthesizer ist, dem mit Ausnahme echter Stereo-Ausgänge nicht viel fehlt, kann man daher auch den Polaris II als Good News betrachten. Immerhin wurde das Instrument nicht zum Schlechten hin verändert (was bei Neuauflagen bzw. Folgeprodukten ja durchaus der Fall sein kann).

Chroma Polaris Synthesizer

Am Gebrauchtmarkt findet man CHROMA Polaris und Polaris II nicht unbedingt jeden Tag als Occasion, doch tauchen die Instrumente in regelmäßigen Intervallen auf – z.B. in Deutschland, Italien, Frankreich, England, Japan … und natürlich speziell in den USA. Wer sich auf die Suche begibt, sollte etwas Geduld mit im Gepäck haben, denn gut erhaltene Exemplare sind eher selten zu finden (das ist die schlechte Nachricht). Zugegeben ist die Seltenheit nicht weiter überraschend, umso mehr ist es jedoch der durchwegs moderate Preis, zu dem man einen CHROMA Polaris / Polaris II erwerben kann (das ist die gute Nachricht).

So wird der CHROMA Polaris / Polaris II – dieser herausragende Poly-Analogsynthesizer mit VCOs, sagenhaften MIDI-Features und mit exzellenter Hardware – in der Regel zwischen 2.500 und 4.000 Euro angeboten (private Verkäufe). Das ist genau genommen nicht (so) viel und liegt auf Augenhöhe mit einem Roland Juno-60 mit MIDI. Das Preisniveau entspricht gar nur der Hälfte dessen, was für einen Roland Jupiter-6 zu zahlen wäre, der – unsere persönliche Meinung – bei weitem nicht die Kraft und Lebendigkeit eines Polaris zu bieten hat (von der fehlenden Velocity-Tastatur und den geringen MIDI-Möglichkeiten ganz zu schweigen).

Chroma Polaris II Synthesizer

Doch man muss den Markt natürlich nicht „verstehen“. Die beiden obigen Screenshots zeigen zwei aktuelle Angebote aus den USA – einerseits einen günstigen Polaris (privater Anbieter, Gerät mit starken Gebrauchsspuren rückseitig), andererseits einen teuren Polaris II (Händlerpreis, Gerät in sehr gutem Zustand).

Fazit

Wer den Bericht gelesen hat, braucht eine Empfehlung nicht erst abzuwarten. Klarerweise (!) ist der CHROMA Polaris eine klangliche Bereicherung im Studio, er hat nicht nur seinen starken, eigenen Charme, sondern bietet technisch und soundtechnisch deutlich mehr (oder andere) Möglichkeiten als so manche polyphone Synthesizer seiner Zeit. Die Empfehlung richtet sich natürlich auch an Rhodes CHROMA Besitzer, die im Polaris keineswegs eine abgespeckte Version des grandiosen CHROMA vorfinden, sondern einen eigenständigen Synthesizer mit zwar reduzierter Klangarchitektur, jedoch mit nicht minder herausragenden klanglichen Qualitäten.

Da der Gebrauchtmarktpreis des Instruments anno 2024 nach wie vor human ist, sollte man als findiger Synthesizer-Enthusiast demnach nicht allzu viele Gelegenheiten zum Erwerb eines Polaris oder Polaris II verstreichen lassen. Jetzt oder nie!

Chroma Polaris Synthesizer


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Abschließend möchten wir noch Paul DeRocco erwähnen. Er kam 1981, nach dem Konkurs der Firma ARP, in einem Team an Technikern rund um Philip Dodds zu CBS, um den Rhodes CHROMA fertig zu stellen und zur Produktionsreife zu bringen. Später wurde DeRocco, der bereits Chef-Entwickler des CHROMA war, auch Projektleiter des CHROMA Polaris.

Und noch heute ist Paul DeRocco für „seinen“ Synthesizer im Einsatz: Die in den USA angebotenen, neuen Membranfolien – beim Polaris unbedingt zu ersetzen, da sie die zentrale Schwachstelle des Instruments sind – gehen auf seine Initiative zurück und werden von ihm zu einem fairen Preis angeboten (mit Quasi-Garantie, dass sie ein Leben lang halten, man höre und staune).

Chroma Polaris Synthesizer


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40+ Minuten Audio-Files sind angefügt. Der amerikanische Sound ist schon in den ersten Sekunden zu erkennen: Reminiszenzen an den Prophet-5 und Memorymoog werden geweckt. Neben seiner unbestrittenen „analogen Potenz“ sind es zudem die digital klingenden, experimentellen, aber auch die lyrischen Facetten, die den Polaris auszeichnen.

Mit zwei Ausnahmen (Korg MiniPops 120, Elka Synthex) ist einzig der CHROMA Polaris zu hören. Das Verarbeiten mehrerer Spuren in Audacity erlaubte, neben zuweilen höherer Polyphonie, auch das Verschieben von Klängen im Panorama, um so den Polaris – wenn auch nur virtuell – nachträglich stereophon zu machen.

Rhodes/Fender
CHROMA Polaris und Polaris II

Polyphone analoge Synthesizer (1984 – 1986)

6 Stimmen (12 Oszillatoren) mit CEM 3374 Dual-VCO und CEM 3372 VCF/VCA,
Oszillator-Synchronisation, Ring-Modulator und 6 LFOs (Software),
Sequenzer
, SPLIT/DOUBLE Sounds, Anschlagdynamik und
umfassenden MIDI-Funktionen, Mono-Out.

Maße / Gewicht:
99,5 x 37,5 x 11,5 cm; 19 kg

Öffnen / Herunterladen:
CHROMA Polaris Foto 1 (4000 x 2600 px)
CHROMA Polaris Foto 2 (4000 x 2600 px)
CHROMA Polaris Foto 3 (4000 x 2600 px)

Links:
Neue Membranfolien für den CHROMA Polaris
Artikel über den Rhodes CHROMA (und Paul DeRocco)
Rhodes CHROMA / CHROMA Polaris Website (Chris Ryan)
Brief von 1987 über die Geschichte des Polaris (Seite 2)
Polynominal Artikel über den CHROMA Polaris
Chroma Polaris Enthusiast’s Group (Paul DeRocco)
… Dank an MaHa für den Hinweis!

Vergleiche / Testberichte:
Sequential Prophet-5 – Meilenstein und Musiklegende
Moog Memorymoog – TOP Vintage Poly-Synth mit 18 VCOs
Roland Jupiter-6 – von Obertönen, Pads und Polyrhythmen

Youtube Videos:
That One Time That Fender Made A Synth… by Alex Ball

Fender Chroma Polaris by The Synth King

Kategorie 2024, Featured, Main Feature, Testberichte

“Es genügt, einen Ton schön zu spielen” sagte der Komponist Arvo Pärt im Jahre 2005. Diese Aussage ist ebenso einfach wie ich auch exzellent: Es braucht kein Meer an Tönen, denn entscheidend ist der Klang. Dass so mancher Vintage-Synthesizer der 70er und 80er Jahre teils unerreicht hochwertige Klänge liefert, steht außer Frage. Doch tatsächlich leben wir “heute” in einer nahezu perfekten Zeit. Einerseits hat man – mehr oder weniger – noch Zugriff auf die Vintage Analogen, andererseits wird auch bei Neugeräten die wichtige Komponente des hochwertigen Klanges wieder zunehmend berücksichtigt. Doepfer, Cwejman, Synthesizers.com, MacBeth, Moog, GRP, Studio Electronics, COTK, John Bowen und andere Hersteller bauen hervorragende Synthesizer, die den “Klassikern” in nichts nachstehen. All diesen (alten wie neuen) “großartigen” Instrumenten ist Great Synthesizers gewidmet. _________________________________________________________ In 2005 composer Arvo Pärt said: “Playing one tone really well is enough”. In other words, it is sufficient to play one tone 'beautifully'. I agree with that. All musical efforts are focused on the sound itself. Although I studied classical music (piano and drums), it’s the electronic sound that inspires me. Synthesizers are the epitome of new sounds and exciting tonal spheres. Today, many companies produce high-quality - excellent! - synthesizers: Doepfer, Cwejman, MacBeth, Moog, GRP, Synthesizers.com, COTK, Studio Electronics, John Bowen and others. It's their products I'm really interested in ... apart from Vintage Synthesizers, which I have been collecting for 20 years. Subsequent to our former websites Bluesynths and Blogasys, Peter Mahr and I have now created GreatSynthesizers. We hope you like it.

8 Kommentare

  1. Thomas

    Lieber Theo. Weil die „Qualität zu Kommentare“ Ratio auf deiner Website absolut aus dem Gleichgewicht ist möchte ich dir generell sagen:

    Deine Reviews sind mit weitem Abstand die besten, die ich im deutschsprachigen Bereich je gefunden habe. Danke für deine Arbeit. Ich setze mich manchmal einfach nur hin und höre mir die Soundbeispiele verschiedener Synthesizer an und genieße. Auch doppelt und dreifach. Ich erkenne auch, dass du dabei ganz gezielt auf die verschiedenen Möglichkeiten und klangformenden Elemente der Geräte eingehst. Nach dem Hören deiner Klangbeispielen weiß ich, was der Synth kann und wie er wirklich klingt.
    Absolut empfehlenswert <3

  2. Theo Bloderer

    … hallo Thomas – vielen Dank!

  3. Wow, ich bin überrascht eine so ausgewogene und durchaus tiefe Vorstellung
    des Polaris gelesen zu haben. Ich mag die Splitsounds, links funky Bass rechts Rhodes/kann er auch/ und hab ichs überlesen? der Synth is 8x multitimbral!

  4. Theo Bloderer

    … ich denke, es bleibt bei der zweifachen Multitimbralität. Allerdings kann der Polaris in OMNI OFF, MONO Mode jede der sechs Stimmen – nicht Sounds, wenn ich es richtig verstehe – auf einem eigenen MIDI Kanal senden. User Manual: „The messages for the first voice are sent on the basic channel, with messages for the additional voices sent on the following channels.“ In jedem Fall ist der Polaris MIDI-mäßig sehr gut ausgestattet :o)

  5. a geh…wie heissts so schön: Denken ist nicht Wissen ;)
    siehe Manual Seite 85 -> Midi Extra Channel:

    The extra MIDI channels are useful if you have the Polaris connected to an external
    multi-track sequencer or computer. It the software in the sequencer or computer is
    able to allow separate MIDI channels to be assigned to independent tracks,
    the Polaris can be a multitimbre instrument by using the MIDI Extra Channels.

    bis zu 5 extra Channel können festgelegt werden + die vorhandenen 3 ergibt eine 8 fache Multitimbralität,
    habe es einige Male selbst genutzt. / siehe auch dynamic voice allocation/
    schon allein wenn ich den Sequencer laufen lasse und einen Splitsound spiele ist er 3-fach multitimbral.

    Ja, ein MIDI-Monster, und es kommt noch weirder:

    Speaking of polyphonic aftertouch, are you aware that the Chroma Polaris will respond to it over MIDI? (basically any parameter that you can modulate with the expression pedal can be polyphonically triggered via poly aftertouch). I don’t think this was widely known. I discovered it when I was pouring over the Polaris MIDI spec in the hopes of adding a few modern conveniences to the firmware.

    https://gearspace.com/board/electronic-music-instruments-and-electronic-music-production/1066930-quot-chroma-polaris-quot-effect.html

  6. Theo Bloderer

    … ja, mit dem Denken, das ist so eine Sache :o) … und mit der Sprache auch. Splitsound und Sequencer = 3-fache Multitimbralität habe ich gelesen. Das ist im Sinne der Ausgabe, was mir – sehr persönlich – wenig bedeutend erscheint. Doch geht der Trick (mit Extra Channels) empfangsseitig ebenso? Steuerung von 8 Klängen des Polaris? Wenn ja, dann „Hut ab!“, „Chapeau!“. So würde ich „Polaris ist 8-fach multitimbral“ jedenfalls verstehen. Wie auch immer … das Polyphonic AT Feature ist natürlich sehr (sehr) schön. Habe davon noch nicht Gebrauch gemacht, aber bei „dem“ kräftigen Sound ist schon die bloße Vorstellung absolut verlockend … vielen Dank für den Hinweis und Link!

  7. Gern geschehen.

    Doch .. der Trick? Es steht in der Bedienungsanleitung.
    Steuerung von 8 Klängen des Polaris? Ja.
    Klar kannste bei 6 stimmen keine 8 sounds spielen, -> dva
    5 verschiedene sounds hab ich mal getestest, bsdr, snare hihat, bass und strings,
    innerhalb des polaris abgestimmt, es kommt aus einem mono ;) schon geil was da raus kommt. Übrigens auch die weichen sounds a la strings und gespace sind machbar&nice.

    Falls du Paul de Rocco diesbezüglich oder wegen anderer Polarisfragen kontaktieren willst ist eine Antwort über https://groups.io/g/chromapolaris sehr wahrscheinlich.

  8. Theo Bloderer

    … danke, ich werde den Link noch im Testbericht ergänzen. LG!

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