Polymoog? Nein nein nein, kommt nicht in Frage. „Nie-mals!“ dachte ich. Bis Onkel Sigi anrief. Er hatte sich vor Jahren einen späten Traum erfüllt und den berühmten Polymoog erworben. Nun blieb im Alltag kaum Zeit, der Synthesizer wurde selten gespielt. Vielleicht wäre das Instrument bei mir etwas besser aufgehoben? Magisch angezogen von der Aussicht auf einen vollpolyphonen Vintage-Synthesizer mit 71 (!) Tasten, konnte ich der Anfrage nicht widerstehen …
Onkel Sigi selbst bekam den Polymoog von einem unter Insidern nicht ganz unbekannten Sammler (und Techniker), der mehrere Exemplare hatte und dessen spontane Reaktion zu meiner Service-Anfrage ein „Wenn was ist – klar, bring den Polymoog vorbei!“ lautete. Bemerkenswert, denn so gut wie alle Synthesizer-Techniker im deutschsprachigen Raum weigern sich inzwischen strikt, einen Polymoog auf ihre Werkbank zu legen … nein nein nein … kommt nicht in Frage, nie-mals!
Nach einigen Wochen glückseliger Testphase – ich hatte den Kauf nicht sofort zugesagt, sondern um eine Bedenk- und Erkundungszeit gebeten – hört der Polymoog auf zu klingen. Einfach so. Strom – alles da, LEDs – leuchten, Summen im Audiosignal … aber … kein Sound. Also besagten Techniker kontaktieren, in etwas düsterer Stimmung und mit lädiertem Polymoog im Gepäck mehr als 500 Kilometer nach Rheinland-Pfalz fahren … und auf ein Wunder hoffen.
Das Wunder tritt ein. Der Techniker öffnet den Polymoog, misst das Netzteil, checkt die 3 Platinen an der Oberseite, lokalisiert den Fehlerbereich, tauscht auf Verdacht einen Tantal aus … und der Synthesizer klingt! 3 Minuten hat die Reparatur gedauert. Ich bin beeindruckt (vom Techniker) und enttäuscht (eingedenk der 500 Kilometer Anfahrt und dem so geringen Reparaturaufwand, wobei ein Service zu LEDs und Keyboard noch am selben Tag folgt).
Kontakt mit Onkel Sigi – das Instrument ist gerichtet – und Rücksprache mit dem Techniker, ob ich auch künftig betreffend Polymoog-Troubles vorbeikommen dürfe („Klar, bring ihn mit!“), denn bei diesem Synthesizer ist gutes Service die halbe Miete. Also: „Grünes Licht“ – das Instrument wird im Frühjahr 2025 endgültig gekauft! Seither wertet der Polymoog das Studio auf, mit überirdischen Flächensounds und auralesquen Klangteppichen, die ihresgleichen suchen …
„The Constellation Synthesizer Ensemble“
Der Polymoog entstammte ursprünglich einem größeren Instrumentensystem, das Moog 1974 auf den Markt zu bringen gedachte: The Constellation Synthesizer Ensemble. Aus mehreren Teilen bestehend, hätte sich das System aus dem Solo-Synthesizer LYRA (Entwickler: Bob Moog, Jim Scott), dem Poly-Synthesizer APOLLO (Entwickler: David Luce), sowie dem Fußpedal-Bass-Synthesizer TAURUS zusammengesetzt.
Vom LYRA – dem ersten Moog-Synthesizer mit Anschlagdynamik – wurde laut Literatur ein einziges Exemplar gebaut (perfectcircuit.com spricht in seinem Artikel hingegen von mehreren) und in den Folgejahren von Keith Emerson verwendet. Zwei APOLLO Synthesizer erblickten das Licht der Welt, bevor David Luce das Konzept überarbeitete, einen neuen Chip entwickelte und den Polymoog schuf. Einzig der TAURUS ging – wenngleich in stark abgeänderter Form – schließlich in Serie.
Apollo wird zum Polymoog
1975 auf den Markt gekommen, dürfte der Polymoog zunächst wie ein Instrument aus fernen Galaxien erschienen sein: Volle Polyphonie, 71 Tasten, Presets – das klang nach Science-Fiction. Für mehrere Jahre war der Polymoog dann auch – neben Oberheims Four-Voice / Eight-Voice – Platzhirsch im polyphonen Synth-Bereich, erst 1977 kam mit der Yamaha CS-Serie, der Korg PS-Serie und ein Jahr später mit dem Sequential Prophet-5 bzw. Roland Jupiter-4 dringend benötigter Nachschub im Bereich der mehrstimmigen Synthesizer.
Nun sei niemand mit der Geschichte des Polymoog gelangweilt. Ich selbst war zum Zeitpunkt seines Erscheinens 3 Jahre alt (von persönlichen Erfahrungen kann keine Rede sein), zudem ist die Synthesizer-Literatur randvoll mit Anekdoten rund um den Polymoog. Fest steht: Dem schnellen Aufstieg folgte ein langer Fall. Die Frequenzteiler-Schaltungen („Das ist kein richtiger Synthesizer“), technischen Unzuverlässigkeiten und besonders die Empfindlichkeit beim Transport waren Kritikpunkte rund um den Polymoog, dessen Produktion 1980 endete.
Bemerkenswert sind zumindest zwei Aspekte: Die Entwicklung des Polymoog (damals noch Apollo) startete bereits 1972 und damit kurz nach Erscheinen des Minimoog. Außerdem wurde der neue Synthesizer von einem Fachmann der Akustik entwickelt, Dr. David Luce. Das dürfte den starken „musikalischen Background“ des Gerätes erklären, denn wie kaum ein anderer mehrstimmiger Synthesizer ist der Polymoog ein Player’s Instrument, das mit ungewöhnlichen musikalischen Details brilliert …
Aufbau des Polymoog Synthesizers (Model 203A)
Als Basis der Klangerzeugung stehen zwei Gruppen von Master-Oszillatoren (Sägezahn- und Pulswelle) zur Verfügung, die via Frequenzteiler für den Sound pro Taste zuständig sind. Damit jede der (maximal) 71 Stimmen ihre eigene Filterung bzw. ihren eigenen dynamischen Verlauf haben kann – dies war die entscheidende Weiterentwicklung gegenüber dem paraphonen Apollo – wurde ein eigener, handtellergroßer Chip entwickelt, der für die Klangformung jeder Taste zuständig ist.
Die beiden Grundwellenformen Sägezahn und Puls können einzeln oder gemischt dem LOWER / UPPER bzw. eben dem gesamten Keyboard zugeführt werden, bei Fußlagen von 16′ (Puls) bis 4′ (Sägezahn). Über den FINE TUNE Regler ganz links lässt sich die Gesamttonhöhe anpassen, der integrierte BEAT Regler ermöglicht wiederum das Verstimmen der Grundwellenformen gegeneinander, zwecks Einstellung und Dosierung von Schwebungen.
Um betreffend Bass-Mitte-Höhe Anpassungen über das 71-Tasten-Keyboard erzielen zu können, lassen sich die Oktaven 1/2, 3/4 und 5/6 individuell im Volume regeln. Hier wurde eine kleine Barriere eingebaut um zu verhindern, dass die Lautstärken ganz zurück gehen, da anfangs perfekt funktionierende Polymoogs als kaputt zurückgeschickt wurden, nachdem Kunden versehentlich alle OCTAVE BAL(ance) Regler auf „0“ gestellt hatten und somit kein Sound mehr zu hören war.
Weiter am Paneel: Mit RANK TUNE kann die Sägezahnwelle im Intervall bis zu einer Septim (+/-) gegenüber der Pulswelle versetzt werden, um dem orchestralen Klang des Polymoog nochmals eine Prise Cinemascope- bzw. Fanfaren-Charakter zu verleihen (vorzugsweise in Quinten) … genaues Tuning vorausgesetzt (hier kommt wieder der BEAT Regler ins Spiel, um z.B. eine reine Quart oder eine reine Quint auch tatsächlich exakt einstellen zu können, was über den RANK TUNE Schieberegler alleine schwer bzw. nur mit sehr viel Geduld möglich ist).
Sägezahn / Puls können jeweils per eigenem (!) LFO frequenzmoduliert werden und die Pulswelle bzw. PW-Modulation (wieder mit eigenem LFO) lässt sich separat für LOWER / UPPER dosieren. Schließlich kann auch das Mischungsverhältnis des Sägezahn-Klanganteils (zur Pulswelle) mittels RANK MIX für LOWER / UPPER getrennt eingestellt werden. All diese Feinheiten rund um Frequenzen, Lautstärken, Mischungsverhältnisse und Modulationsintensitäten ergeben eine Lebendigkeit, die den Polymoog einzigartig macht.
Diese Einzigartigkeit ist in den 8 Presets allerdings nicht unbedingt wahrzunehmen. Es sind einfache Sounds, die David Luce MODES nannte, da sie keine „absoluten“ Klangvorstellungen repräsentieren, denn eher den „relativen“ Charakter eines bestimmten Instrumententypus (PIANO, VIBES, BRASS …) verkörpern. Außerdem sind die MODES auf das anschlagdynamische (!) 71-Tasten Keyboard abgestimmt, damit Pianisten/Organisten die ihnen vertraute Klavier/Orgelliteratur am Polymoog problemlos umsetzen können (so der Gedanke).
In den angefügten Klangbeispielen sind die besagten Presets / Modes zu hören. Nicht spektakulär und sogar mit kleinen elektronischen Aussetzern hie und da (wir haben es bei dieser „akustischen Realität“ am Tag der Aufnahme belassen), doch sie sind „ok“ und als Basis für eigene Klänge durchaus brauchbar. Nummer 9 – VAR(iable), der „freie“ Modus – ist für den Soundtüftler natürlich von übergeordnetem Interesse, da will man hin! Eine zentrale Rolle in der freien Programmierung des Polymoog spielt der Bereich LOUDNESS CONTOUR …
… wo sich die Keyboard-Dynamik (auf Attack, Klangfarbe/Filter und Lautstärke) ebenso wie die globale Einschwing-, Abfall- und Ausklingzeit (für UPPER / LOWER getrennt) festlegen lässt. Die Parameter interagieren miteinander, natürlich auch in Zusammenhang mit Sustain, was für den typischen Synthesizer-Spieler / Programmierer eventuell eine kleine Herausforderung darstellt, zugleich aber auch eine Quelle von Unerwarteten – weil ungewollten – Klangverläufen (Dynamik!) sein kann.
Dem Paneel weiter nach rechts folgend kommen die beiden letzten Bereiche, die global auf den Klang des Polymoog wirken. Die RESONATORS – hinlänglich bekannt von Kraftwerk und anderen Gruppen, die sich dieses Moduls bedienten – sind ein statisches 3-fach Filter (umschaltbar LOWpass / BANDpass / HIGHpass), das sich in den Bereichen LOW / MED(ium) / HIGH jeweils in Frequenz, Resonanz und Lautstärke einstellen lässt und im Wesentlichen für durchaus ungewöhnliche Klangfarben sorgt.
Das abschließende VOLTAGE CONTROLLED FILTER ist ein klassisches 24dB Kaskadenfilter mit Cutoff und Resonanz, sowie mit eigenem LFO (inklusive Sample & Hold) und eigener Hüllkurve (ADS). Dieses Moog-Filter existiert ein Mal und macht den Polymoog bei mehrstimmigem Spiel zu einem paraphon klingenden Instrument, da das Filter mit jedem Tastendruck automatisch neu startet. Keith Emerson kritisierte dieses Verhalten beim Vorgänger Apollo vehement, was schließlich zur Überarbeitung des Instruments, zur Entwicklung des Synthesizer-Chips (einer pro Taste) und damit eben zur Realisierung des Polymoog führte.
Zurück zum ein Mal vorhandenen Moog-Filter. Nachdem alle Klangsektionen des Polymoog mischbar sind (der paraphone Klanganteil somit gut zu „überdecken“ ist), zudem der Synthesizer natürlich auch für Solo-Sounds verwendet werden kann, ist das singuläre Filtermodul in jedem Fall von großem Nutzen. Es sei an dieser Stelle auch auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, dass sowohl RESONATORS als auch das VOLTAGE CONTROLLED FILTER über einen eigenen Audio-Eingang verfügen, sodass besagte Module völlig autark zur Verarbeitung externer Klangquellen genutzt werden können.
Womit die Anschlüsse in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken. Via POLYPEDAL (Model 285, optionales Zubehör) lässt sich ein massiver Fußcontroller zur Steuerung von Tonhöhe, Lautstärke, Filter Frequency, Sustain und anderer Parameter zum Einsatz bringen. Darüber hinaus kann ein monophoner Synthesizer vom Polymoog aus angesteuert werden (inklusive Keyboard Scale Regler – sehr angenehm), womit sich z.B. ein auf dem großen Plastikdeckel abgestellter Minimoog über volle 6 Oktaven ansteuern ließe.
Das Audio-Signal des Minimoog könnte nun der AUX (In) Buchse zugeführt und am Mixer-Paneel des Polymoog als separate Klangquelle geregelt werden – inklusive Glide-Funktion, die mit eigenem Regler speziell für den externen Synthesizer gedacht ist. Massive Polymoog-Flächen und dazu die ebenso massive Lead- oder Bass-Stimme eines Minimoog, alles von zentraler Stelle aus gesteuert, das klingt doch in der Tat verlockend für einen Live-Musiker.
Sound und mehr …
Aus unserer Sicht sind die zahlreichen Signalpfade mit 6 (!) Audio-Ausgängen das wahre Gold des Polymoog. MIX Balanced/Unbalanced, MODE, VCF, DIRECT und RES(onators) – alles kann am Paneel individuell gemischt und separat abgegriffen werden. Unterzieht man die einzelnen Signale dann am Mischpult einer simplen Rechts-/Links-Einstellung samt Equalizing und Effekt-Zugabe (wir haben uns vor allem für Phaser und Delay entschieden), so kommt man dem auralesquen Klanghimmel so nah wie nur irgendwie möglich.
Polyphone Flächen können zu raumfüllenden Soundwundern werden, wie es – ein Entschuldigung an dieser Stelle für die einseitige Klangdarstellung des Polymoog – im Großteil der angefügten Soundbeispiele zu hören ist. Doch was soll man sagen? Diese massive (und doch angenehm warm, immer musikalisch klingende!) Mehrstimmigkeit ist einzigartig, kein Synthesizer kann hier dem Polymoog Konkurrenz machen. Ein positiver Side-Effekt des lebendigen, organischen Gesamtklanges ist auch die gute Integrationsfähigkeit des Polymoog im Mix.
Über allem sei noch das 71-Tasten Keyboard (Pratt & Read) zu nennen, das erstaunlich griffig unter den Fingern liegt und äußerst angenehm zu spielen ist (angenehmer als so manche Made-In-China oder Made-In-Italy Tastatur anno 2025). Das Keyboard des Polymoog erfordert ab und zu ein wenig Service, doch grundsätzlich ist die Mechanik zuverlässig und sowohl der große Tonumfang von 71 Tasten als auch die Anschlagdynamik tragen wesentlich zum orchestralen Klangverhalten des Instruments bei.
Schließlich sei noch das benutzerfreundliche Paneel als Klanggestaltungsmerkmal des Polymoog erwähnt. Da die 95 Regler bzw. Schalter (inklusive Ribbon Controller) während dem Spielen gut zu erreichen sind, lassen sich Klangverläufe ad hoc auch bei vollgriffigen Akkorden bewerkstelligen. Die sehr langen Release-Zeiten tragen natürlich wesentlich dazu bei, dass während dem Musizieren umfassende Anpassungen im Sound möglich sind, ohne den gestalterischen Fluss unterbrechen zu müssen. Lange Texturen entstehen, Klaus Schulze lässt grüßen!
Nochmals hervorgehoben seinen die mehrfachen vorhandenen LFOs (für Sägezahn / Puls Frequenz-Modulation, PWM und Filter-Modulation), die zuweilen betörenden (Vokal)Filter-Möglichkeiten der Resonatoren, die umfassenden Fein- und Intervall-Verstimmungsoptionen … Details, die ohne Zweifel einem den Gesetzmäßigkeiten der Akustik verschriebenen Dr. David Luce zu verdanken sind.
Doch nicht nur technische Raffinessen, auch technische Unzulänglichkeiten tragen zum Charakter des Polymoog-Sound bei. Hauptverantwortlich dafür sind die 71 gesockelten Klangformungskarten (jeder Chip mit Hüllkurve, Doppel-VCA und 12dB-Filter), gut versteckt im Inneren des Synthesizers. Nicht selten ist der Kontakt der einen oder anderen Karte schlecht, folglich das klangliche Ergebnis – keine dynamische Kontrolle – für besagte Taste eine ganz andere.
Was in den 70er-Jahren eines der Hauptprobleme für Musiker darstellte – die Unzuverlässigkeit der Chip-Kontakte, jeder Transport des Polymoog war ein Risiko – kann man heute als wertvolle Quelle eines noch lebendigeren Sounds betrachten. Einzeltöne (jene, wo der zugehörige Karte nicht korrekt im Sockel steckt) klingen lauter, ungefiltert, möglicherweise störend … jedenfalls nicht schön (die dynamische Formung fehlt), zugleich aber interessant andersartig im Gemisch des vollpolyphonen Gesamtklanges (da es ja – wie schon gesagt – nur einzelne Noten / Tasten betrifft).
An dieser Stelle darf auch hinzugefügt werden, dass besagtes Chip-Kontakt-Problem einfach zu beheben ist: Polymoog öffnen (2 + 4 Schrauben lösen, Deckel abheben), die 3 obersten Platinen hochklappen (einige Schrauben lösen) und schon sind alle 71 Soundkarten zugänglich. Nun jene Karten mit schlechtem Kontakt etwas hineindrücken und damit sollte das Problem behoben sein. Aus Sicht des Studio-Musikers eine einfache Sache, aus Sicht des Live-Musikers dennoch ein großes Handicap, das in den 70ern / 80ern wesentlich zur Unbeliebtheit des Instruments beitrug.
Fazit
Der Polymoog Synthesizer (Model 203A) dürfte – nicht ganz verwunderlich – vor allem jene Keyboarder ansprechen, die einen Faible für lebendige Vintage-Sounds (Anschlagdynamik), raumfüllende Flächenklänge (Vollpolyphonie) und offene, weite Frequenzbereiche (6-Oktaven Keyboard) haben. Er könnte, wir wagen die Aussage, für diese Zielgruppe gar ein Dream Synthesizer sein. In jedem Fall spricht er Live-Musiker an, die ausreichende Spielfertigkeiten haben und gerne „in die Tasten greifen“.
Synthesizer-Nerds und Klang-Tüftler hingegen dürften sich an der doch recht eingeschränkten Architektur des Polymoog stören. So gibt es nur einige wenige Modulationsmöglichkeiten, unkonventionelle Hüllkurven, kein Sync, keine Ring- und Cross-Modulation, kein Noise. Von den kaum vorhandenen (externen) Steuer/Trigger-Optionen des Polymoog einmal ganz abgesehen … und schon das Nachdenken über eine kommerziell verfügbare MIDI-Nachrüstung ist so gut wie verboten, denn diese scheint nicht zu existieren.
Fest steht, dass der Polymoog – ob als Synthesizer (Model 203A) oder in der reduzierten Version als Preset-Keyboard (Model 280A) – ganze Generationen von Musikern geprägt hat: ABBA, Tony Banks, Michael Boddicker, John Bowen, Walter/Wendy Carlos, Chick Corea, Keith Emerson, Kraftwerk, Mike Oldfield Band, Herbie Hancock, Larry Fast, Jon Lord, Patrick Moraz, Gary Numan, Billy Preston, Saga, Klaus Schulze, Tomita, Rick Wakeman, Steve Winwood, Stevie Wonder … und viele mehr (Quellen: Peter Forrest; The A-Z of Analogue Synthesisers, Part One: A-M, revised, Seite 280; Polymoog Owner’s Manual, Seite 36).
Fest steht auch, dass das Instrument nicht nur für seine Vollpolyphonie / Flächensounds berühmt, sondern auch für seinen Servicebedarf berüchtigt ist. Nachdem heute kaum noch ein Techniker bereit ist, sich des Polymoogs anzunehmen, könnte dies der heikelste Punkt beim Abwägen sein, ob die Anschaffung des Synthesizers nun ein guter Schritt wäre oder nicht. Am Gebrauchtmarkt ist der Polymoog jedenfalls regelmäßig zu finden, sein Preis bewegt sich aktuell zwischen 4.000 Euro (privat) und 8.000 Euro (Reverb & Co.).
Was der Polymoog musikalisch kann, ist in den folgenden 50+ Minuten Audiofiles zu hören. Wie schon angedeutet, lässt unsere Klangvielfalt etwas zu wünschen übrig (wir entschuldigen), denn die Mehrzahl der Demos wird – neben einigen Bass- und Solo-Klängen – von Flächensounds bzw. anderen polyphonen Strukturen geprägt, für die sich der Polymoog – nomen est omen – nun einmal wunderbar eignet. Weitere Demos zum Polymoog finden sich auf Youtube und in den Aufnahmen vieler Musiker / Bands der späten 70er- und frühen 80er-Jahre.
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PS: Das Wort auralesque existiert nicht wirklich (von einem Schweizer Synthesizer-Projekt aus den 90er-Jahren einmal abgesehen). Wir finden es in diesem Zusammenhang dennoch passend, denn das Wort drückt lautmalerisch aus, wie der Polymoog unserer Meinung nach klingt: luftig, leicht, lebendig, magisch!
Natürlich kann der Polymoog auch ganz anders tönen. Speziell der Einsatz der Resonatoren lässt seinen Charakter übersteuert, aggressiv, ungezähmt und wild werden (danke für das Kommentar zu den Rockmusikern, die den Polymoog bevorzugt in dieser Klangrichtung zum Einsatz brachten).
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Moog Polymoog Synthesizer (Model 203A)
Polymoog Keyboard (Model 280A)
Polypedal (Model 285)
1975 – 1980 bzw. 1978 – 1980
Vollpolyphoner Synthesizer mit Frequenzteiler-Technologie, 71-Tasten Keyboard, Presets, mehreren parallelen Audiowegen und (optionalem) Polypedal
Maße / Gewicht:
115,6 x 56,5 x 15,2 cm (L/B/H)
37,2 kg
Links:
Polymoog (Wikipedia Artikel)
Perfect Circuit – History of Moog’s Polyphonic Synthesizers
Open / Download:
Moog Polymoog Synthesizer 1 (4200 x 2800 px)
Moog Polymoog Synthesizer 2 (4200 x 2800 px)
Polymoog Owner’s Manual
Youtube Video (by Shook Music):
Polymoog 203A Synthesizer: A Sonic Exploration
Youtube Video (by Cornel Hecht):
Polymoog Synthesizer
Youtube Video (by Alex Ball):
That Gary Numan Synth
Wunderbar geschrieben und tolle Soundbeispiele – jetzt muß ich doch langsam mal den Polymoog Sound-Thread im sequencer.de Forum starten, den ich schon länger vorhabe.
Als alter Saga-Fan (die hatten gleich 2 davon auf der Bühne) wollte ich immer einen haben, aber sowohl Größe/Gewicht als auch Anfälligkeit haben mich letztlich davon abgehalten.
Bei Rick Wakeman, der einen der ersten Apollo-Prototypen bekam, kann man den späteren Polymoog besonders auf dem Doppelalbum „Rhapsodies“ hören, wobei er immer gerne etwas „quietschige“ Sounds rausholte. Krasser Gegensatz dazu „Fade to Grey“ von Visage, dort sind sowophl Bassline als auch das Pad vom Polymoog, laut Christopher Paynes Erwähnungen der benutzten Presets müßte das allerdings der Kleinere (280A) gewesen sein, denn das Pad ist Vox Humana, das gibts ja auf dem Großen nicht. Sehr oft und deutlich hört man ihn auch auf Kraftwerks „Mensch Maschine“ Album, an einer Stelle wird gar die Hüllkurve extern getriggert oder durch ein entsprechendes Modul, ähnlich wie bei Pete Townshend, geleitet.
Sehr schöner Artikel! Für mich war und ist der Polymoog der nostalgische ‚Dreamsynthesizer‘ schlechthin – trotz aller seiner Unzulänglichkeiten. Feeling und Klang sind wirklich irgendwie einzigartig. Der Service ist allerdings ein Thema, ich hatte jemanden in FFM der alles machen konnte, der sich aber irgendwann strikt weigerte, um es sich nicht gänzlich mit der Freundin zu verderben. ;)
Im Laufe der Jahre sind mehrere durch meine Hände gegangen, auch das Polymoog Keyboard war mal dabei (auch toll), und einer steht immer noch – voll funktionierend und mit Polypedal, bei mir. Der geht auch nicht mehr weg, obwohl es inzwischen zwei wirkliche gute Emulationen des Polymoog gibt.
Ich lasse den Polymoog meist über einen Boss-CE-1 Chorus laufen, der sich wunderbar dafür eignet.