GRP V22 Vocoder – die Klänge „From Outer Space“

Beginnen wir mit einer demütigen Entschuldigung. An GRP und an die Leser. Der Bericht zum V22 Vocoder hat satte 9 Monate gedauert. Unerhört! Dabei war es nicht mangelnde Qualität seitens des Instruments, die den Fortschritt behinderte. Nein, es war unsere eigene Unkenntnis ob der Verwendung eines professionellen Vocoders.

Doch nun hat der V22 das Studio auf den Kopf gestellt, eine kopernikanische Wende eingeläutet, einen neuen Zugang zur Musikelektronik ins Leben gerufen. Ab sofort möchten wir ihn nicht mehr missen, den V22 und seine Klänge „From Outer Space“.

Warum die üppige Vorbereitungszeit? Ein Teil der Antwort: Jahrelanges Arbeiten mit Synthesizern hat unser musikalisches Umfeld auf den klassischen Umgang mit Oszillatoren (oder Samples), Filter, Verstärker, Hüllkurven, LFOs etc. reduziert. All das mittels Ansteuerung via Tastatur (direkt eingebaut), via CV/Gate oder via MIDI. Kommt dann jedoch etwas Neues auf den Tisch – nennen wir als Beispiel den GRP V22 Vocoder – wird man möglicherweise ungeachtet aller Vorkenntnisse flugs zum armen Würstchen, umgeben von vielen Fragezeichen. In unserem Fall trifft das zu.

Kurzer historischer Rückblick

Die Ironie an der Geschichte: Das Neue ist keineswegs neu. Im Gegenteil – der Vocoder zählt zu den ältesten Entwicklungen im Bereich der elektronischen Signalübertragung. Stichwort Zwischenkriegsjahre, Stichwort Bell Laboratories. Wichtige Persönlichkeiten sollten Wichtiges auf verschlüsseltem Wege austauschen können. Der VOice EnCODER wurde ins Leben gerufen, das Stimmen-Kodiergerät. USA, 1936, lange ist es her.

GRP V22 Vocoder

Ab den 1960er-Jahren hielt der Vocoder Einzug in die experimentelle, ab den 1970er-Jahren in die kommerzielle Musikelektronik. Zuweilen ausgestattet mit Keyboard, begann damit auch der Siegeszug des Vocoders in der elektronischen Popmusik. Roboterstimmen, Kraftwerk, MenschMaschine und Co. – die erfolgreichen musikalischen Einsätze sind hinlänglich bekannt.

Während Vocoder mit Direktzugriff auf alle Filter / Bänder / Frequenzbereiche (EMS, Sennheiser, Moog …) in der Regel zu den besonders exquisiten, teuren Effektgeräten im Studio gehörten (und noch heute gehören), boten die meist günstigeren Vocoder mit Keyboard (Roland, Korg, …) in der Regel keinen – oder nur sehr eingeschränkten – Zugriff auf die einzelnen Frequenzbereiche.

GRP V22 Vocoder

Dafür waren jene mit einem Keyboard ausgestatteten Instrumente – wie etwa der legendäre Roland VP-330 oder der ebenso bekannte Korg VC-10 – enorm benutzerfreundlich, lieferten sie dem in ein Mikrofon singenden (oder sprechenden) Musiker doch umgehend die gewünschten, markanten elektronischen Chöre, Roboter- oder Effektstimmen.

So weit so gut. Noch etwas Geduld bitte, denn der kleine historische Abriss hat in erheblichem Maße mit dem GRP V22 zu tun. Dieser Vocoder mit seinen Klängen „From Outer Space“ (wie wir den Testkandidaten charakterisieren) ist ein Produkt der ersten Kategorie, ein pult- bzw. rackförmiges Instrument ohne Keyboard (jedoch mit MIDI), das über 22 frei zugängliche Filterbereiche verfügt.

GRP V22 Vocoder

Hardware hat ihren Preis

Die 22 (spannungssteuerbaren) Filterbereiche, die machen den Unterschied. Nicht nur im Sinne der damit verbundenen musikalischen Möglichkeiten, auch im damit verbundenen monetären Sinne. Denn sie kosten. Jedes Filter(paar) mit Envelope Follower und eigenem VCA. Teuer! Kein Wunder, dass ein EMS 5000 Vocoder unbezahlbar war. Kein Wunder, dass ein Moog Vocoder – mit 16 Filtern / Bändern – unleistbar schien und selbst in der Neu-Auflage noch stolze 6.000 Euro kostet. Tja, da mutet der GRP V22 – mit 22 Filtern / Bändern – bei 4.000* Euro schon fast günstig an. Fast. (* Im September 2022 wurde der Preis auf ca. 4.700 Euro erhöht.)

Damit ist die Katze aus dem Sack: Hardware hat ihren Preis! Hier gibt es nichts zu beschönigen, wenngleich doch zu relativieren: Die musikalischen Einsatzgebiete eines professionellen Vocoders sind enorm. Roboter- und Chorstimmen – die Klischees sind natürlich mit dabei. Doch es geht viel weiter: Dies ist ein offenes Experimentierfeld für alle Formen von Body-Percussion und jeglicher akustischer Performance, die via Mikrofon und ausgewählter Frequenzbereiche in Klangwelten verwandelt wird. Zudem ist der GRP Vocoder eine 22-fache Festfilterbank für die Veredelung von Audio-Material aller Art, wie Synthesizer-Sounds, Drum-Sounds und vielem mehr.

GRP V22 – die Technik

Dass ein Vocoder im Wesentlichen aus zwei Teilen – Analyseteil und Syntheseteil – besteht, dürfte allgemein bekannt sein. Im Detail ist die Funktionsweise des Vocoders jedoch sehr komplex. Belassen wir die Erklärung an dieser Stelle bei folgender Kurzvariante: Ein Audio-Signal kommt rein (Mikrofon oder Line alias Modulator), die Envelope-Follower im Analyseteil öffnen – entsprechend den „erkannten“ Frequenzen des Einganssignals – die VCAs / Filter im Syntheseteil, dem wiederum das Carrier-Signal zugrunde liegt. Der VOCODER-Sound ist zu hören.

Technisches Kernproblem ist die Komplexität des eingehenden Audio-Signals, meist also der Stimme / Sprache. Diese besteht aus Vokalen, stimmhaften Konsonanten („Voiced“), stimmlosen Konsonanten alias Zischlauten („Unvoiced“) etc. Ihre Analyse und vor allem möglichst erfolgreiche Synthese / Reproduktion ist die wahre Herausforderung, die ein Vocoder zu meistern hat.

Als exzellente (und sehr hilfreiche) Quelle zu den technischen Grundlagen eines Voice Encoders sei das Buch „Synthesizer. So funktioniert elektronische Klangerzeugung“ von Florian Anwander empfohlen. Im Kapitel „Vocoder“ (Seite 129 ff) werden Funktionsweise und Aufbau des Gerätes auf anschauliche und detaillierte Weise erläutert, unter anderem mit den Doepfer A-100 Vocoder-Modulen A-129/1 (Vocoder Analysis Section) und A-129/2 (Vocoder Synthesis Section). Eine weitere Informationsquelle wäre dieser Vocoder-Artikel auf Wikipedia.

GRP V22 Vocoder

Betreffend GRP V22 begnügen wir uns an dieser Stelle mit einer Auflistung der wichtigsten Features, samt einiger Hinweise, die uns aus musikalischer Sicht relevant erscheinen …

Der GRP V22 verfügt über:

  • Einen kombinierten Mikrofon- / Line-Eingang (für das Modulator-Signal)
  • Compressor und Noise Gate, die je nach Anwendung zu einem konstanteren
    Modulator-Signal führen können
  • MIDI-IN zur Steuerung des internen VCOs (Carrier-Signal), alternativ ist eine externe CV-Steuerung möglich, oder natürlich die manuelle Steuerung des VCOs direkt am V22
  • 22* Bänder / Frequenzbereiche / Festfilter (LowPass, 20x BandPass, HighPass)
  • Manuelle Lautstärkeregelung und LED-Anzeige pro Frequenzbereich / Filter
  • Envelope Follower CV-Ausgang und VCA CV-Eingang pro Frequenzbereich / Filter
  • Freeze, mit dem sich das Mikrofon-/Line-Signal „einfrieren“ und der Vocoder-Sound dann Stück für Stück (Frequenz für Frequenz) per Filterbank optimieren lässt
  • Eine Slew Funktion, mit der sich die Anstiegsrate der Envelope Follower einstellen lässt; Anders gesagt handelt es sich um eine globale Attack-Zeit des Gesamtklanges
  • Eine Coupling Funktion, die das (positive / negative) Verschieben der Frequenzbänder
    zwischen Analyse und Synthese ermöglicht – für weitreichendere Klangexperimente

[* Da Analyseteil und Syntheseteil jeweils über eine eigene Filterbank verfügen, dürfte es sich de facto um 44 Filter handeln, die im GRP V22 eingebaut sind.]

GRP V22 Vocoder

  • Einen internen VCO als Träger-Signal (Carrier), mit Sägezahn und Pulswelle
    (Voiced) sowie Rauschen (Unvoiced)
  • Einen LFO (0,02 Hz – 13 Hz, Dreieckwelle und Rechteckwelle) zur FM und PWM des VCOs
  • MIDI Pitchbend Empfang des VCOs im Bereich von +/- 12 Halbtonschritten
  • Ein separates HighPass Filter zur Verbesserung / Aufhellung des Vocoder-Signals
  • Audio-Eingänge für externe Voiced / Unvoiced Signale zusätzlich zum
    bzw. anstelle des internen VCOs (Carrier)
  • Left Ausgang, Right / Mono Ausgang und ein separater VCO-Ausgang (Carrier)
  • Ein interessantes Konzept der Audio-Ausgabe im Left / Right Modus
    mit räumlichem Stereo-Klangbild, im Detail:
  • Die obere Reihe der 20 BandPass Filter wird am linken Kanal,
    die untere Reihe am rechten Kanal ausgegeben
  • LowPass Filter und HighPass Filter liegen automatisch
    sowohl am rechten wie auch am linken Ausgang an
  • MIDI IN / MIDI THRU / USB (MIDI IN)

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Der GRP Vocoder kommt mit Holzseitenteilen und Rackschienen. Wichtiger Hinweis: Anders als beim GRP A2 / GRP R24 passen die 4 Schrauben der Holzseitenteile „nicht“ für die Rackschienen des GRP V22, hier sind 4 extra (kürzere) Schrauben im Lieferumfang enthalten.


GRP V22 – die Praxis

Da wir in einigen technischen Aspekten selbst nur bedingt sattelfest sind, kommen wir sehr gerne zum praktischen Teil. Und der hat es in sich. Mit Erstaunen stellen wir fest, dass es mit einem offenen Vocoder des Typs GRP V22 gar nicht „so leicht“ ist, den typischen Robo-Stimmen-Effekt sofort zu erzielen. Es erfordert jedenfalls ein deutliches Maß an Übung und ein geduldiges Auspendeln von Compressor, Noise Gate und separatem HighPass Filter, bis „Wir sind die Roboter“ überzeugend klingt. Dennoch, der Weg dahin, das so wichtige Experimentieren, zeigt die vielfältigen Einsatzbereiche des Vocoders, die weit über simple Stimmen-Effekte hinausgehen.

Der GRP V22 als Synthesizer
– ein Ritt durch die Audio-Frequenzen

Da mit VCO, LFO, VCF und VCA wesentliche Elemente eines Analogsynthesizers vorhanden sind, bietet sich das Experimentieren mit dem internen VCO (Carrier) schnell an. Immerhin stehen 22 Filter zur weiteren Klangfärbung zur Verfügung – ein wahrer Luxus, muss man schon sagen. Wer nun noch den Gate-Impuls oder die Hüllkurvenzeiten sucht: Das Auslösen der Musik und ihr zeitlicher Ablauf geschehen natürlich über das Mikrofon bzw. über ein zugeführtes Line-Signal, schließlich haben wir hier einen VOCODER vor uns. Und mit dem Mikro-/Line-Signal als Auslöser des Klanges, nun … da wird es interessant.

Stichwort Mikrofon. Keineswegs (!) muss man beim Vocoder Singen, um Musik zu machen. Man kann und darf natürlich singen (idealerweise nach Zustimmung aller Mitbewohner im Haus). Doch es geht auch ganz anders …

GRP V22 Vocoder

Gewöhnliches Atmen in das Mikrofon genügt, schon erwacht der VCO (Carrier) zum Leben, schon beginnt der GRP V22 zu pulsieren. Im Gegensatz zum scharfen Trigger- / Gate-Impuls eines traditionellen Synthesizers mittles Keyboard, CV/Gate oder MIDI/USB, sind die musikalischen Phrasen des luftgesteuerten Vocoders jedoch fließend und „natürlich“ in ihrem Ablauf – der Atmung entsprechend. Der großzügig angelegte VCO des V22 geht übrigens stufenlos bis in den Sub-Audio-Bereich / LFO-Bereich, was das Erzeugen experimenteller Klangwelten nochmals vereinfacht. Man drehe am VCO TUNE Knopf und steuere die Lautstärke / die Hörbarkeit dieses Ritts durch die Audio-Frequenzen mittels Atmung. Eine neue Erfahrung, so viel steht fest.

Das ist jedoch erst der Anfang der sich nun öffnenden Wundertüte. Nicht ganz zufällig stehen Sägezahn und Puls als VCO Wellenformen bereit. Beide haben einen hohen Obertongehalt und ermöglichen das Ausfiltern von (zahlreichen) Frequenzen. Erklingt etwa die Sägezahnwelle, können durch das Absenken bzw. Anheben einzelner Frequenzbänder überzeugende Vokalklänge generiert werden. Oder Impressionen à la Didgeridoo oder mongolischer Kehlkopfgesang. Mystisch, überirdisch. Werden die einzelnen Filter nun wiederum durch externe CV-Spannungen moduliert (wer hat 22 LFOs zur Verfügung? * Scherz … ), dann fehlen bald die Begriffe, um diese akustischen Welten in Worte zu fassen.

[ * Es würde schon eine Handvoll an (externen) Modulationsquellen genügen. Einige LFOs, Hüllkurven, Sequenzer-Spuren … Oder aber auch das Kreuz-Patchen direkt am GRP V22, wenn man die CV-Ausgänge des Analyseteils mit völlig anderen CV-Eingängen des Syntheseteils verbindet. Hier bedient sich auch die vorgegebene Coupling-Funktion dieser experimentellen Idee. ]

GRP V22 Vocoder

Der GRP V22 als Performance-Tool
– eine steuerbare Luxus-Festfilterbank

Gedanklich geht das zuvor genannte Beispiel schon in eine weitere Richtung. Die einzelnen (CV-steuerbaren) Filter können jedes beliebige Audiosignal verformen. Ersetzen wir den internen VCO durch einen externen Synthesizer – in unseren Demos war dies vielfach der UDO Audio SUPER 6, hier nun als CARRIER – so ergeben sich damit neue klangliche Horizonte. Polyphoner mongolischer Kehlkopfgesang? Aber ja! Nicht zu vergessen, dass die Steuerung der Klangwelten (zeitlicher Ablauf / Lautstärke) in unserem Beispiel noch immer per direkter Schallwellen / Mikrofonsignal passiert. Durch bloßes Atmen. Doch auch Schnippen geht, sehr effektvoll. Klatschen, wunderbar. Händereiben! Es mag seltsam und vielleicht lächerlich erscheinen. Nun … die klanglichen Ergebnisse sind es keineswegs.

Die 22-fache Festfilterbank, die hat es natürlich in sich. Ersetzen wir das Mikrofonsignal durch ein anderes Audiosignal (kombinierter Line-Eingang), bleiben wir beispielsweise beim UDO Audio SUPER 6, nun als MODULATOR, und speisen dessen Sounds ein. Jeder einzelne Klang des Synthesizers kann ab sofort in eine völlig neue Richtung gehen. 22 Festfilter = 22 Frequenzbereiche = da bleibt kein Stein auf dem anderen. Sehr effektvoll, wenn z.B. nur einzelne Frequenzbänder stark angehoben werden. Sounds beginnen nochmals zu leben, sich (organisch) zu verändern, wir denken zurück an die Möglichkeit der CV-Steuerung aller 22 Bänder. Doch auch „manuell“ tut sich da viel: Das Hervorheben / Absenken, das Suchen / Abtasten bestimmter Frequenzbereiche, die dem aktuellen Sound oder Klangteppich das Extra an akustischer Würze geben – es ist wirkungsvoll und einfach zugleich.

GRP V22 Vocoder

Der GRP V22 als Vocoder
– ein Experimentierfeld „in alle Richtungen“

Ganz bewusst setzen wir den Vocoder an dritter Stelle. Das ganz Offensichtliche ist nicht das Spektakulärste am GRP V22. Robotern tut jeder, könnte man sagen. Es gibt gute und günstige Hardware-Vocoder (z.B. Korg microKORG, Novation MiniNova, Roland Jupiter-X/Xm, Waldorf STVC). Es gibt sehr brauchbare Vocoder im Eurorack-Format (z.B. AnalogFX VXC-2220 in Anlehung an den Synton 222). Und es gibt sehr nützliche Software-Vocoder (wie den Arturia Vocoder V, den XILS Lab XILS V+ oder die Freeware Full Bucket Vocoder FBVC). Wenn es nur um den Kraftwerk-Effekt ginge, wäre der GRP V22 eindeutig überdimensioniert. Es geht um mehr, es geht um das Extra an Möglichkeiten. Schon die 22 Bänder sind ein Qualitätsmerkmal. Keineswegs erforderlich für den Sprach / Stimmengebrauch, da bringen auch weniger Frequenzbänder gute Ergebnisse. Dennoch, die klanglichen Möglichkeiten erweitern sich durch eine Verfeinerung der Frequenzen.

Das Besondere ist – neben der umfassenden Frequenzbank – das „in alle Richtungen“ offene Paket an Möglichkeiten des V22 Vocoders. Sei es durch das Coupling, um durch Frequenzverschiebungen neue Strukturen zu kreieren. Sei es durch den experimentellen Einsatz des Noise Gates, wo Roboter-Stimmen oder nasale Chöre gezielt „unschön“ klingen dürfen. Oder sei es durch die völlig freie Verwendung der Grundsignale. Muss man beim Vocoder singen? Keineswegs. Kann ein Drumcomputer quasi „die Stimme“ sein und ein über Mikrofon zugeführtes Signal den Carrier übernehmen? Aber sicher.

GRP V22 Vocoder

Noch schöner formuliert:

„Wenn wir nicht nur das naive Spiel „Mein-Synthie-kann-sprechen“ spielen wollen, dann werden wir uns […] von der Vorstellung trennen, dass es eine Vorschrift gäbe, welche Signale für Modulator und/oder Carrier zu verwenden seien.“

Anwander, F. (2000), Synthesizer. So funktioniert elektronische Klangerzeugung.
PPV Verlag. Seite 135.

Nebengeräusche – das wertvolle Extra

Ein Side-Effekt beim Arbeiten mit dem GRP V22 (wie wohl mit jedem Vocoder): Es kommen – in unterschiedlichem Ausmaß – Nebengeräusche in die Musik. Sei es über das Mikrofon, über die Summe der vielen Filter (eigentlich der vielen VCAs), über die Reaktionsweise des Noise Gates, was auch immer. Das ist eine Wohltat. Denn so „menschlich“, wie die Performance am offenen Vocoder ist, so sehr bekommt auch der nun geringere Anspruch auf Hi-Fi eine menschlichere Note. Und die ohnehin mystischen Klänge erhalten durch Nebengeräusche zusätzliche Authentizität.

Ist man erst mal so weit (wurde die akustische Sterilität der Musikelektronik etwas durchbrochen), beginnt sich die Großzügigkeit möglicherweise auch auf anderen Ebenen durchzusetzen.

GRP V22 Vocoder

So dürfen nun rhythmische Elemente gerne Ungenauigkeiten aufweisen. Body-Percussion geht ja ohnehin nicht im Puls der MIDI-Clock vonstatten, und so ergeben auch leichte Verzögerungen im Sequenzer- oder Drums-Setup plötzlich ein stimmigeres Gesamtbild als zuvor. Die Musik beginnt zu leben, (auch) dank der „offenen“ Performance am Vocoder. Ein schöner Side-Effekt. Das nur am Rande.

[ Nebengeräusche wie Übersteuerungen können natürlich durchaus ungewollt bei der Bedienung entstehen (wir sprechen aus Erfahrung), wenn beispielsweise zu viele Filter gleichzeitig aufgedreht werden. Doch selbst das ist meist nur punktuell und muss keineswegs den Gesamtklang stören. Wenn doch, so kennt man immerhin die Ursache und kann die soeben erfolgte „Performance“ einfach mit entsprechender Korrektur wiederholen. ]

Fazit

Der GRP V22 ist ein Juwel, den es zu entdecken gilt. Er sieht nicht sehr spektakulär aus. Und er ist zudem auch keineswegs ein Schnäppchen. Doch er ist ein durch und durch professionelles Instrument, das mit Sicherheit die musikalische Welt in so manchem Studio nachhaltig verändern wird. Seine stattlichen und zugleich feinen Möglichkeiten (22 Bänder mit manuellem Zugriff + CV-Steuerung, „echtes“ Stereobild mit abwechselnden Bändern R/L) und sein freier Performance-Zugang führen auf experimentelle Weise zu besonderen, unerwarteten, neuartigen Klängen.

GRP V22 Vocoder

Klänge, die fernab jeder altbackenen Elektronik- und Synthesizer-Schiene etwas Unerklärliches und Mystisches an sich haben. Mehr noch, Klänge, die nur mit einem solch professionellen Vocoder und seinen fast zwei Dutzend Filtern überhaupt erst realisierbar sind. Schließlich aber bildet der GRP V22 eine offene experimentelle Schnittstelle zwischen Synthesizern, Drumcomputern, Audio-Material „aller Art“ und Modularsystemen, mit der sich bereits vorhandene klangliche / modulationstechnische Möglichkeiten akustisch in ein neues Licht rücken und mit feinen (oder markanten) Nuancen veredeln lassen.

Dass ein Teil der besonderen akustischen Ergebnisse durch die Steuerung via Sprache, Atem oder diversen Arten von Body-Percussion zustande kommen kann, ist zudem jenes besondere Merkmal, das den Vocoder per se als Instrument im ureigensten Sinne auszeichnet. Ein Instrument, in dem der Musiker selbst zum wichtigen Teil der Performance und des Klanges wird. Da hier ab und an auch Nebengeräusche anfallen (gewollt oder ungewollt), werden die musikalischen Ergebnisse meist automatisch lebendiger bzw. natürlicher. Auch dieser positive „humane“ Effekt zeichnet das Arbeiten mit dem GRP V22 aus.
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50 Minuten Audio-Files geben einen Einblick in die Welt des GRP V22. Wie nach diesem Bericht zu erwarten, sind die für einen Vocoder so typischen Roboter-Stimmen nur gelegentlich vertreten. Statt dessen bilden Klang-Experimente rund um 22 Filter, internem LFO, atem-gesteuertem VCO und diversen Noise Gate-Einstellungen den akustischen Rahmen. Einige der Soundfiles sind in Synthesizer-Performances eingebettet, die teilweise wiederum durch den GRP V22 verändert wurden (Festfilterbank). Und schließlich trägt noch ein Lexicon MPX-100 Delay zur Verstärkung des mystischen Klangcharakters bei.


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Folgende Instrumente sind zu hören: GRP V22, GRP A2 (mit GRP R24), UDO Audio SUPER 6, Elka Synthex, Roland Juno-60, Waldorf Rocket, Sequential Pro-One, Yamaha CS-60, Yamaha CP-70, Korg Monotribe, sowie die Stimme und diverse Arten von Body-Percussion.

GRP V22 Vocoder

Vocoder mit 22 Frequenzbändern (manuell und per CV steuerbar),
mit eigenem VCO, Noise, LFO und extra HighPass Filter

Preis: 3.956 Euro plus MwSt. (ca. 4.700 Euro)
(02/2024)

Holzpaneele (Desktop) sind bei Lieferung fix montiert,
Metallschienen + 4 passende kürzere (!) Schrauben liegen für den Rackeinbau bei.

Open / Download:
GRP V22 Front View (4200 x 2800px)
GRP V22 Side View (4200 x 2800px)
GRP V22 Back (4000 x 2500px)

Website Hersteller:
www.grpsynthesizer.it

Wikipedia Artikel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Vocoder

Kategorie 2021, Featured, Testberichte

“Es genügt, einen Ton schön zu spielen” sagte der Komponist Arvo Pärt im Jahre 2005. Diese Aussage ist ebenso einfach wie ich auch exzellent: Es braucht kein Meer an Tönen, denn entscheidend ist der Klang. Dass so mancher Vintage-Synthesizer der 70er und 80er Jahre teils unerreicht hochwertige Klänge liefert, steht außer Frage. Doch tatsächlich leben wir “heute” in einer nahezu perfekten Zeit. Einerseits hat man – mehr oder weniger – noch Zugriff auf die Vintage Analogen, andererseits wird auch bei Neugeräten die wichtige Komponente des hochwertigen Klanges wieder zunehmend berücksichtigt. Doepfer, Cwejman, Synthesizers.com, MacBeth, Moog, GRP, Studio Electronics, COTK, John Bowen und andere Hersteller bauen hervorragende Synthesizer, die den “Klassikern” in nichts nachstehen. All diesen (alten wie neuen) “großartigen” Instrumenten ist Great Synthesizers gewidmet. _________________________________________________________ In 2005 composer Arvo Pärt said: “Playing one tone really well is enough”. In other words, it is sufficient to play one tone 'beautifully'. I agree with that. All musical efforts are focused on the sound itself. Although I studied classical music (piano and drums), it’s the electronic sound that inspires me. Synthesizers are the epitome of new sounds and exciting tonal spheres. Today, many companies produce high-quality - excellent! - synthesizers: Doepfer, Cwejman, MacBeth, Moog, GRP, Synthesizers.com, COTK, Studio Electronics, John Bowen and others. It's their products I'm really interested in ... apart from Vintage Synthesizers, which I have been collecting for 20 years. Subsequent to our former websites Bluesynths and Blogasys, Peter Mahr and I have now created GreatSynthesizers. We hope you like it.

5 Kommentare

  1. Harald Gratzer

    Hallo Theo, absolut Top deine Demos. Du hast mich bei Knops and Wires bereits 2018 auf den alternativen Geschmack zu Moog gebracht. Hab seitdem A2 und R24 und bereue es keine Minute. Ich war der, der Fotos von Dir und Dieter D. gemacht hat.

    Ja was soll ich sagen, ich habe gehofft ich benötige den V22 nicht, weil ich schon den A-100 Vocoder habe. Der hat zwar sehr wohl nach wie vor seine Berechtigung. Klangmäßig nach deinen Demos zu urteilen geht aber mit dem V22 noch mehr. Wäre schön wen du zu deinen Demos Patchbeispiele bringen könntest. Als Einstieg in das große Experiementierfeld. Ich hoffe man begegnet sich bald wieder. Gruß Harry

  2. Theo Bloderer

    Hallo Harry … die Fotos mit Dieter D. alias Knobs & Wires 2018 sind sehr gut geworden – vielen Dank nochmals (o:)! Und ja, die A-100 Vocoder-Module sind sehr gut. Schade, dass sie nicht mehr hergestellt werden.

    Patchbeispiele zu den Soundfiles, das ist ein Schwachpunkt, ich gestehe. Es ist wohl der Zeitfaktor, der das verhindert, aber danke für den Hinweis, mal sehen, ob sich zumindest ab und an Patchbeispiele als Ideen-Lieferant einbauen lassen. Vielleicht würden schon Fotos genügen, „wie“ die Sounds entstanden sind.

    Übrigens habe ich den GRP V22 inzwischen gekauft. Er hat tatsächlich das Studio auf den Kopf gestellt, erzeugt Klänge, die sich selbst mit großen Modularsystemen nicht ohne Weiteres produzieren lassen (wenn überhaupt). Wobei ich kein Vocoder-Experte bin, den Umgang mit Mikrofon und 22 Filtern daher definitiv als Aha-Effekt erlebe. Wie dem auch sei: Der GRP V22 ist (aus meiner Sicht) die Investition wert.

    Ganz viele Grüße und auf bald – Theo

  3. Hey Theo …
    Ich bin auch Besitzer eines V22 und die ersten Momente mit diesem Gerät würde ich eher als ernüchternd beschreiben. Kein Manual, kein On /Off Switch und ein beträchtliches Eigenrauschen. Das hätte ich bei dieser Preisklasse gerne anders gesehen. Ich nutze ihn mittlerweile wirklich gerne und auch ich habe etwas Zeit gebraucht um mit ihm warm zu werden. Missen möchte ich ihn nun nicht mehr, trotz des Eigenrauschens.

  4. Theo Bloderer

    … vielen Dank für die Hinweise, das ist sehr wertvoll. Das fehlende gedruckte Manual – ja, vermisst man. Online ist es verfügbar, ok, in italienischem Englisch, da ist es manchmal nicht die erhoffte Hilfe. Den nicht vorhandenen On/Off Switch kann man immerhin so erklären, dass GRP den Vocoder der schon bestehenden A2 / R24 Linie angepasst hat – es ist ein und dasselbe Grundgehäuse für Synthesizer / Sequencer / Vocoder. Fehlender Switch das eine, ein externes Netzteil das andere, doch ja, so ist die ganze Serie. Letztlich ist es auch eine Kostenfrage, der Moog Vocoder mit On/Off Switch und internem Netzteil kostet eben auch über ein Drittel mehr (und bietet genau genommen weniger Features). Das Eigenrauschen des V22 kann ich zu wenig genau interpretieren, es ist vielleicht (auch) eine Folge der vielen Bänder und möglicherweise schwer zu vermeiden. Auch fehlt mir hier der Vergleich zu anderen Vocodern dieser Art, also ist das ein blinder Fleck in meinem Wissensstand.

    Eine minimale Anregung meinerseits wäre noch gewesen, ein Schwanenhals-Mikrofon dem V22 beizugeben. Kein Hi-End Mikrofon – darum müsste sich jeder Musiker selbst kümmern – aber ein brauchbares Schwanenhals-Mikro, mit dem man nach dem Auspacken des V22 gleich loslegen kann. Doch das nur nebenbei.

    Danke nochmals für den Input, es werden noch einige Korrekturen und Ergänzungen im Bericht gemacht. Ganz viele Grüße …
    Theo

  5. Wokoder

    Vielen Dank für die Xtra Uncut Experimental Performances! Sie zeigen nicht nur viel deutlicher den eigentlichen „Effekt“ des V22, sondern sie sind auch noch hervorragende Kopfkinomusik.

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