NAMM Report 2016 – Teil 1

Während ich gerade am ersten Teil des NAMM 2016 Berichts schreibe, fällt mir jener Satz immer wieder ein, der so oft auf der NAMM zu hören war: „Was für ein hervorragendes Jahr für Synthesizer-Liebhaber. Welche unglaublichen Neuheiten es doch gibt!“ …

Ja, es stimmt. Im Moment tut sich sehr (!) viel am Markt!

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ART work by BRUTE

4 Tage NAMM! 4 Tage, die in die Beine gehen. Geschätzte 15 000 Schritte absolviert man hier täglich (wie mir der Schritt-Zähler eines guten Freundes verrät) …

Am 21. Januar um 9 Uhr morgens verlasse ich Los Angeles. Die Neuigkeiten rund um die Zusammenarbeit von Dave Smith (DSI/Sequential) und Tom Oberheim machen eben die Runde.

Kein Wunder, dass die beiden später den „Best in Show“ Award der diesjährigen NAMM gewinnen. Ihr neuer Dave Smith Instruments OB-6 ist DIE Sensation. Doch all das ist am ersten Tag natürlich noch Zukunftsmusik. Eben gerade bin ich am Weg zum Messe-Areal in Anaheim, Californien. Es geht los …

NAMM2016-Solaris

Schon die erste Begegnung ist herzlich und erfrischend. Synth-Legende John Bowen und sein “Lamborghini der Virtuell-Analogen”, der Solaris, sind meine erste Station. Zunächst wird fachgesimpelt, klar, John als Ikone, John als Schöpfer und Mit-Entwickler des Prophet’s VS und Prophet-5. Mit dem einen Ohr bei John, mit dem anderen beim Synthesizer, spiele ich die Presets des Solaris an, performe wie wild mit dem Joystick und … kann mich vom Instrument fast nicht lösen!

Doch der Solaris ist inzwischen ja schon ein Klassiker (und keine Neuheit). Interessanterwesie hat John sogar einen noch älteren Synth mit dabei: Seinen speziell umgebauten Moog Sonic Six!

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Das üble Plastikgehäuse wurde entfernt und durch eine schöne Chassis im Modular-Design ersetzt. Dieser semi-modulare Sonic Six ist eine Augenweide!

Weiter geht es mit einem etwas merkwürdigen Objekt, dem Arpeggio von Tangible Instruments. Ein transportabler Arpeggiator, Sequencer und 2-Oszillatoren-Synthesizer. Wie das Foto schon erkennen lässt …

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… ist der Arpeggio im Moment ein Prototyp aus dem 3D-Drucker. Nicht wirklich imponierend, ehrlich gesagt. Hoch gelobt in allen Tönen (von „Band In A Box“ bis „revolutionär“ gab es da viel zu hören vor der NAMM), bin ich zugegen etwas enttäuscht vom aktuellen Stand der Dinge.

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Nun, mit dem Engine von Social Entropy Electronic Music Instruments sieht es anders aus. DER beeindruckt sofort! Die Banner und Fahnen mit der ARTwork von BRUTE (wie in unserem ersten Bild gezeigt) sind schon sehr bemerkenswert. Und auf einem Glaskasten voll mit Vintage Drum Machines stehend ist er dann zu sehen: Der ENGINE.

NAMM2016-Engine

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Neben der sehr vertrauten Erinnerung an die Roland TR-808 zieht mich ein ganz bestimmtes Detail des ENGINE sofort in den Bann: Das optional erhältliche CV (Control Voltage) Expansion Board. Wenn das eigene Studio voll mit Modularsynthesizern ist, kann man einer solchen (analogen) Drum Machine mit CV/Gate Panel viel (sehr viel) abgewinnen …

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Den Stand mit Social Entropy teilend, zeigt Abstrakt Instruments seinen wunderschönen Avalon bass synthesizer. Gut, TB303-Clones sind jetzt keine echte Neuheit, das wäre mal die vorschnelle Reaktion. Doch was den AVALON von anderen Clones abhebt ist das Synth Cartridge System, mit dem sich verschiedene Filter in das Instrument laden (einstecken) lassen.

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Zur Zeit sind Transistor Ladder Filter, SEM State Variable Filter, JP Low Pass Filter (Jupiter 8 / Juno 6/60), das 4075 Low Pass Filter (ARP) und das Wasp Multimode Filter im Angebot.

Weiter geht es mit dem Expressive E Touché. Nun wird es wirklich bizzarr. Dieser Controller ist für die Steuerung von Parametern gedacht, während man am Synthesizer oder Masterkeyboard performt. Der TOUCHÉ ist cool zu spielen, ein wunderbares Teil, das die etwas „andere“ Steuerung von Synthesizer-Parametern erlaubt …

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Bei Berührung bewegt sich der hölzerne Block des TOUCHÉ, wobei alle Bewegungen in CV-Spannungen umgewandelt werden. Zur Verbindung nach außen gibt es 4 CV Outputs und einen USB Port. Ein echtes Tool für Live-Performances … (?)

Auf der NAMM ist der TOUCHÉ mit einem Dave Smith Instruments Pro-2 verbunden. Dessen umfangreichen CV-Eingänge machen es natürlich zum Kinderspiel, in die Welt des TOUCHÉ einzutauchen … ich spielte den Bass-Sound des Pro-2 fast wie ein Cello, es ist faszinierend …

Dennoch bleibt mir die Frage etwas im Hals stecken, „wo“ genau ich den TOUCHÉ nun live tatsächlich einsetzen sollte (diesem holzernen Tisch!) … vielleicht es doch eher ein Controller für das Studio. Gut möglich.

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Einmal um die Ecke gebogen, treffe ich auf Scott Jaeger AKA The Harvestman (dessen Firmenname sich soeben auf Industrial Music Electronics geändert hat). Auf seinen Stillson Hammer MKII Sequencer für das Eurorack Modularsystem habe ich sehr (sehr) hart gewartet. Und ich werde nicht enttäuscht! 16 Fader mit eingebauten LEDs machen das silberne Modul zum Schmuckstück. Darüber hinaus ist der Sequencer wirklich spektakulär …

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Die 4 Spuren können unterschiedlichen Teilungszahlen der Clock zugeordnet werden (sehr schön) und mehrere Werte können durch Drücken eines Tasters sowie Bewegen eines Sliders verändert werden. Ein durchdachtes Modul.

Auch das Polivoks-Paket weiß zu überzeugen. The Harvestman hat in Zusammenarbeit mit dem Formanta Polivoks Entwickler Vladimir Kuzmin den legendären russischen Synthesizer zurück ins Licht, genauer ins Eurorack, gebracht. 4 Module umfasst der Polyvoks: LFO (Modulator), VCA & Envelope, Oscillator und das exzellente FILTER …

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Beim nächsten Stand landen wir bei Make Noise, wo ich meinen „ganz persönlichen“ BEST IN SHOW Favoriten entdecke. Make Noise ist für mich schon eine Legende (das Black and Gold Shared System ist zentraler Teil meines Studios) und es war klar: Da ist was im Busch. Zunächst einmal ein neues Modul: Tempi. Tempi ist ein “polyphonic time-shifting clock” Modul …

NAMM2016-MakeNoise

Das bedarf vielleicht einer Erklärung: Die 6 blauen Taster haben 6 zugewisene CV-Ausgänge, die Clock/Tempo Informationen an Modularsysteme (oder Drum Machines) … versenden. Jesed LED blinkt entsprechend seinem (individuellem) Tempo. Nun kommt Tappi, sorry, Tempi ins Spiel: Durch eintippen der gewünschten Geschwindigkeit auf die blauen LEDs änders sich die jeweilige Clock. Quantisierungen sind möglich, Geschwindigkeiten lassen sich als komplette Gruppe in 16 Szenen speichern.

NAMM2016-Tempi

Einmal umgedreht, entdecke ich dann mein größtes Highlight der NAMM: Den 0-Coast. Der Name 0-Coast (or No-Coast) bezieht sich auf die so unterschiedlichen American West Coast und East Coast Philosophien rund um die Synthesizer-Legenden  Don Buchla und Dr. Robert Moog. East Coast baut auf die Subtractive Synthese auf. Voller Oszillatorsound mit viel Klang, davon durch das Filter Frequenzen wegnehmen – alles bekannt.

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Die West Coast Philosophie ist weniger auf das Filter fixiert. Sie geht von den Oszillatoren aus, die „klein“ im Sound beginnen können und durch komplexe Modulationen oder Wave Folding Techniken zu mächtigen Sounds anwachsen können.

Nun, 0-Coast hat – nomen est omen – seine eigene Philosophie. Ich sage einfach: Es ist das Frankenstein Monster der Desktop Synthesizer. Nie im Leben habe ich jemals einen „so fetten“ Oszillator gehört wie der des 0-Coast.

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0-Coast ist ein Chamäleon. Gestuert vom kleinen Korg SQ-1 Sequencer, entwickelt der Synthesizer sofort einen unglaublich warmen, reichen Sound. Viel Bass mit dabei, ein wenig nach Vintage Moog klingend, dann nach ein paarmal Knöpfedrehen wieder ein Sound wie der Buchla Music Easel! MIDI „und“ Patchbuchsen machen den 0-Coast enorm flexibel. Man wird noch viel von ihm hören!

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Hier geht’s zum NAMM Report 2016 Teil 2

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