Oberheim OB12 – der Wolf im Schafspelz?

Es dürfte nur wenige Synthesizer-Enthusiasten geben, die nicht an der ewig währenden Dikussion „analog versus digital“ teilgenommen haben bzw. noch daran teilnehmen, aktiv oder – gedanklich – zumindest passiv. Eines Tages wird dieses Thema verschwinden, so wie viele andere heiße Diskussions-Karusselle der elektronischen Musiklandschaft. So wie die (beinahe) endlosen Debatten rund um den Oberheim OB12.

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Ich kenne nur wenige Synthesizer, die derart polarisieren wir ein OB12. Ähnlich wie „Marmite“, dem geliebten (oder gehassten) Brotaufstrich hier in England. Manche Musiker lehnen den OB12 rundheraus ab, da er ein lizensiertes Produkt der italienischen Firma Viscount ist. Tom Oberheim hatte nie etwas damit zu tun. Also: Kein ECHTER Oberheim. Das stimmt.

Wie allgemein bekannt, gibt es eine ganze Reihe dieser Pseudo-Oberheim-Produkte (MC-3000, etc.), die lediglich den Namen der legendären amerikanischen Firma tragen. Oberheim selbst war weder in punkto Design/Konzept noch in punkto Fertigung involviert. Und so ist und bleibt der OB12 ein ungeliebter Außenseiter: Der Mitschüler, der am Rand sitzt und keine Beachtung findet. Der Firmenchef, den niemand mag. Der verhöhnte Synthesizer mit dem geheiligten – und zugleich entweihten – Oberheim Logo. Ein tastengewordenes Sakrileg.

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[Übrigens: Es ist nicht ganz klar, was der Punkt zwischen OB und 12 soll. Ist es der Oberheim OB12? Oder gar der angedachte OB12? Wir bleiben der Einfachheit halber bei „OB12“ …].

Nun, wenn man einmal den Namen „Oberheim“ beiseite lässt (oder ihn schlicht und einfach ignoriert), kann man den OB12 in neuem Licht entdecken – als einen ziemlich außergewöhnlichen und hervorragenden VA-Synthesizer. Natürlich hat auch dieses Instrument (wie eben „jeder“ Synthesizer) kleine konzeptionelle Schwächen und natürlich gibt es immer Musiker, die sich noch dieses und jenes am Instrument wünschen würden … doch sind es oftmals gerade die kleinen Schwächen oder – positiv formuliert – „Besonderheiten“, die einem Synthesizer erst die nötige Eigenständigkeit geben.

OB12: Der Wolf im Schafspelz?

Um den OB12 zunächst mal in seinen historischen Zusammenhang zu stellen: Das Instrument kam im Jahr 2000 auf den Markt, als Quasi-Konkurrenz zu den großen Synthesizern jener Zeit, wie etwa Access Virus, Korg Triton, Novation Nova II, Waldorf (Micro) Q und Yamaha CS2x.

Dieses Umfeld ist entscheidend, denn genau genommen war ein polyphoner Synthesizer mit einem Meer an Fadern und Knöpfen selbst im Jahr 2000 noch immer ungewöhnlich (und ist es noch heute). Bedienoberflächen mit „ein paar“ Reglern (Yamaha, Waldorf, Korg, …) und manchmal auch schönen, großen Displays, gab es demnach zur Genüge, aber letztlich war man bei vielen Instrumenten noch immer etwas im sehr späten Erbe des DX7 gefangen. Synthesizer mit flächendeckenden Bedien-/Programmierelementen, speziell aber mit vielen Fadern, waren selten, wie etwa der Roland JD-800, JP-8000, oder eben … der Oberheim OB12.

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Vor ungefähr 10 Jahren hatte ich den OB12 zum ersten Mal im Studio. Nach einem Jahr wurde das Instrument wieder verkauft. Schande über mich. Der Grund ist mir immer noch ein Rätsel, da der OB12 ein extrem „gutes“ und leistungsfähiges Instrument ist. Die eingangs erwähnte Diskussion rund um Oberheim / Viscount lasse ich zwar geflissentlich aus, doch nur als Gedanke: BMW baut Mini, Volkswagen baut Skoda. Sind Minis oder Skodas schlechte Autos? Natürlich nicht, es sind eben nur unterschiedliche Konzepte, die unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen. Warum soll also Viscount nicht einen guten „Oberheim“ Synthesizer bauen …?

Soeben habe ich den OB12 wieder erworben. Sofort bereute ich den Verkauf vor vielen Jahren (und fragte mich, wie ich all die Zeit „ohne“ den OB12 auskommen konnte). In meinem Studio gibt es viele Instrumente – Software-Synthesizer ebenso wie analoge und digitale. Der OB12 ist aus heutiger Sicht – interessant, interessant – irgendwo zwischen all diesen Instrumenten angesiedelt. Und er hat sich nun endgültig seinen festen Platz im Setup erobert.

„Ein“ kleiner Wermutstropfen beim ersten Kontakt mit dem OB12 sind sicher die Werks-Presets. Sie sind „ok“, präsentieren aber keineswegs das Potenzial, das im Instrument schlummert. Tatsächlich spielt dies aber eine untergeordnete Rolle. Dieser Synthesizer „muss“ mit all seinen Fadern und Knöpfen direkt programmiert werden, all die (sehr guten) Bedienelemente sind natürlich der wahre Schlüssel zu kreativen / eigenständigen Sounds. Keine neue Erkenntnis, aber eben eine Bestätigung der alten Regel: Musiker sollten sich ihre Sounds selber erschaffen!

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Doch bleiben wir beim Konzept des OB12 … und bleiben wir ehrlich: Die Architektur des OB12 ist nicht außergewöhnlich. Er ist eben ein Virtuell-Analoger Synthesizer (einer von vielen am Markt) – ein Software-Synthesizer mit Hardware-Bedienelementen. Konzeptionell also sicher kein Neuland. Wie es dann klanglich aussieht, nun, das ist eine andere Frage.

Die Klangerzeugung ist 12-stimmig mit bis zu 4 Sounds gleichzeitig (was die verfügbare Polyphonie dann auch schmale 3 Stimmen drückt, leider). Das ist natürlich keineswegs „hervorragend“ und schmälert manches musikalisches Betätigungsfeld des OB12. Doch (wie auch beim JD-800 oder anderen Synthesizer) genügen meist schon 1, 2 oder 3 Layers / Sounds, um den OB12 in all seiner Klanggewalt erstrahlen zu lassen.

Der OB12 kann 256 Timbres (Single Sounds) und 256 are Programs (Multi Sounds) speichern. Das Bedienpanel ist extrem übersichtlich und logisch aufgebaut. Es gibt genügend Platz für die Finger, um die klar beschrifteten Knöpfe und Fader bequem zu bewegen.

Jeder Timbre des OB12 verfügt über 2 Oszillatoren (mit mischbaren Wellenformen) und einer zugehörigen Wave Control Funktion. Abgerundet wird die Stimmen-Architektur durch 2 Filter, 2 LFOs und 2 Hüllkurven.

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Die Hardware-Qualität ist übrigens sehr gut! Sie entspricht so gar nicht dem Vorurteil eines So-LaLa zusammengeschusterten italienischen Instruments. Das Metall-Chassis ist sehr (sehr) schwer, die Knöpfe und Fader haben (nur) minimalen Spielraum („gar kein“ Spielraum wäre natürlich noch besser). Das grafische Display ist groß und informativ – sogar Hüllkurven werden grafisch dargestellt – sehr fein.

Das Keyboard verfügt über Velocity und Aftertouch – ein Novum in dieser Preisklasse, das nur am Rande. Zusätzlich zum obligaten PitchBend/ModWheel Paar gibt es noch einen Ribbon Controller. Die Anschlüsse des OB12 sind Standard, mit dem Zusatz eines digitalen Ausgangs und eines zweiten (AUX) Ausgangspaares – zur unabhängigen Klang-Nachbearbeitung.

Bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2000 kostete der OB12 schlanke £799 hier in England. Zwei Jahre später fiel sein Preis gar auf £499 – leider. Irgendwie war dieses Instrument ein Ladenhüter, schwer zu verkaufen und es wurde nur von sehr geringem Interesse seitens der Musikwelt belohnt.

(Im Moment liegen die Gebrauchtpreise des OB12 übrigens wieder bei £400-500. Und es scheint so, also würden die Tendenz seines „Wertes“ nun endlich etwas steigen).

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Was macht den OB12 „anders“?

Einiges! Alle Oszillator-Wellenformen können gemischt werden (wie anno dazumal beim Roland Juno-60), die Einspeisung der Oszillatoren in die beiden unabhängigen Filter ist frei zuweisbar, FM- und Ring-Modulation, ein paar (eher einfach gehaltene, aber im Routing flexible) Effekte. All das in Verbindung mit großartigen Performance-Funktionen, wie Arpeggiator, Phrase Recorder sowie das Morphen (!) zwischen Sounds … nun, das klingt doch nicht schlecht!

Die beiden Filter sind 12dB (2 Pol) Filter, die parallel, gesplittet oder in Serie (dann als 24dB Filter) betrieben werden können. Eine Spezialtät sind ganz klar die Vocal-Filterklänge. Diese erzielt man im BandPass Modus, wo bei richtiger Filter-Einstellung schöne Formanten entstehen. „Eine“ der vielen klanglichen Besonderheiten des OB12.

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Und wie IST der Sound?

Uhm, also, wenn ich hier zwei etwas ungewöhnliche Adjektive verwenden darf, so würde ich den Sound als bedrohlich und schizophren bezeichnen. Bedrohlich insofern, also einige der OB12 Sounds quasi aus dem Nichts springen und die Ohren massiv bedrohen. Schizophren schließlich, weil der OB12 zwei (oder mehr!) Synthesizer in seiner Chassis zu vereinen scheint: Das warme, analog klingende Instrument, das chillige, digitale Instrument, manchmal das brutale und zuweilen auch das „bescheidene“ Instrument.

Die Oszillatoren / Wellenformen und Filter produzieren mühelos allertiefste Bässe und allerfeinste Flächen-Sounds. Auch delikate Digital-Klänge im Stile eines DX7 oder PPG Wave sind möglich. Wobei natürlich genau an diesem Punkt („gutes Ausgangsmaterial“) die grandiose Bedienoberfläche mit all den Reglern und Knöpfen ins Spiel kommt. Kleine Änderungen und Anpassungen hier, dort ein wenig Resonanz erhöhen, hier schnell das Decay verlängern, dort das zarte Mischungsverhältnis der Wellenformen etwas verfeinern … schon ist man mitten „im“ OB12.

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So lässt sich immerhin sagen, dass der OB12 betreffend Bedienung dem wichtigen analogen Feeling gerecht wird. Und klanglich sind die (mischbaren) Wellenformen, ebenso wie die charakteristischen Filter, von einer erhabenen Besonderheit. Kein anderer Synthesizer klingt wie ein OB12.

Aufgepasst …

Wie schon angedeutet: 12-stimmige Polyphonie ist hart an der Schmerzgrenze (bei nochmaliger Reduzierung mit mehreren Timbres). Dennoch kommt man überraschend gut klar, denn viele Sounds sind mit „nur“ 1 oder 2 Timbres fantastisch und musikalisch von allerhöchster Klasse. Will man dies jedoch toppen und durch Zugabe weiterer Timbres den Klang veredeln, passiert nicht selten das Gegenteil: Es wird zu voll, zu überladen, musikalisch undurchsichtig. Also: Weniger ist mehr!

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Künftigen OB12 Besitzern muss natürlich das Prinzip klar sein, dass ein Timbre viele Sounds beeinflussen kann. Ändert man das Timbre, ändern sich die zugeordneten Programs. Speziell diesen Punkt der OB12 Architektur finde ich ausgesprochen lästig. Es wäre doch sicher kein Problem gewesen, „Kopien“ der Timbres in den (Multi) Programs zu verwenden und so die einzelnen Sounds / Timbres eben unabhängig zu machen. So aber muss man sehr aufpassen, sobald man anfängt, die Sounds im Detail zu verändern.

Die beigefügten Effekte sind nicht von höchster Qualität, aber sie tragen zum Charakter des OB12 bei, positiv natürlich. Kleiner Hinweis: Chorus, Delay und Reverb sind Stereo-Effekte, so weit, so gut. Sobald man jedoch Distortion aktiviert, wird die gesamte Effekt-Einheit in Mono umgewandelt. Schade. Auf der Positiv-Seite ist jedoch zu vermerken, dass die Reihenfolge und das Routing der Effekte frei programmierbar sind …

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Noch ein altbekanntes Phänomen (das bis zum Solaris bei vielen Ditigalen deutlich zu spüren ist): Das Umschalten von einem Programm zum anderen bedingt eine kurze klangliche Pause bzw. Verzögerung. Das ist ein wenig seltsam abgesichts dessen, dass man beim OB12 mittels MORPH zwischen Sounds überblenden kann (dann ohne Verzögerung, klarerweise), das einfache Umschalten der Programme jedoch offensichtlich den Prozessor kurz an sein Limit bringt.

Die letzte OS des Oberheim OB12 – OS V1.52 – ist natürlich sehr zu empfehlen. Viele der anfänglichen Schwächen des Instruments („Bugs“) wurden behoben. Es gibt jedoch Hinweise unter Insidern, dass fehlgeschlagene Updates den OB12 zur Gänze lahmlegen. Auch nicht gut. Daher: Updates auf eigene Gefahr!

Bald ist Weihnachten …

Kleine Wünsche dürfen nicht fehlen (auch wenn sie leider nie Realität werden). Die Wave Control Funktion „sollte“ über eine Modulationsmöglichkeit verfügen, das wäre exzellent. Gleiches gilt für die FM Sektion.

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Umschalten der Sounds ganz ohne „Hänger“? Noch eine Oktave mehr beim Keyboard? Und Distortion im Stereo-Modus wäre … nun eben … wäre …

Also gut. Es bleibt dabei. Der OB12 „ist“ sehr schön, so wie er ist.

Kurz und bündig

Vergessen wir das Oberheim-Logo. Beurteilen wir einfach den virtuell-analogen OB12. Es ist ein hervorragender und extrem kraftvoller Synthesizer. Ein Meilenstein in der Welt der VA-Instrumente.

Zugegeben, man muss schon Hand anlegen und den OB12 programmieren, man muss „in“ das Instrument eintauchen – erst dann hat man schließlich (neben den irreführenden Namen) auch die Werksklänge hinter sich gelassen und ist im so wertvollen Sound-Design dieses Instruments angekommen.

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Manchmal schraube ich für Stunden an diesem Instrument, doch letztlich sind die Klänge gar nicht soooo exzellent wie erhofft. Sehr oft aber schraube ich nur für ein paar Minuten am OB12 und zaubere einen genialen Klang nach dem anderen hervor. Und selbst wenn ich die Klangstruktur des OB12 genauestens kenne und eigentlich begreife, wie was funktioniert, überrascht mich dieser Synthesizer immer wieder aufs Neue.

„WIE machst du das?“ flüstere ich dann. Doch der OB12 schweigt beharrlich … und klingt weiter so vielschichtig wie auch inspirierend schön.

Das gefällt mir.

Oberheim (Viscount) OB12

Polyphoner Digitaler Synthesizer
12 Stimmen

5 Kommentare

  1. Andreas Grunwald

    Besser kann man den OB12 nicht beschreiben, hinzufügen sollte man, dass Viscount damals einen Editor (Win) zur Verfügung stellte, der naturgemäß nur über MIDI DIN IN/OUT funktioniert, im XP-Modus auch unter Win7, es gab sogar eine eigene Webseite. Ich habe den Service von Viscount als erstklassig erlebt, es gab sogar auf Anfrage eine deutsche Übersetzung (bitte nicht fragen, Pdf verschollen)
    Vielen Dank für diesen Artikel, ich stimme 100% zu !

  2. Hi Andreas,

    My German is not good but I know this is good feedback – thank you. I was not aware of the s/w you mention.

    Larry

  3. Ich habe den Oberheim erst seit ein paar Stunden, was für eine Sau !!! und das meine ich positiv. Ich habe ja schon einige VA’s unter den Fingern gehabt, aber der ist extreeeem vielseitig. Sicher ist nicht alles super an der Kiste, aber welche Kiste ist schon perfekt. Auch ein kompletter Mididump dauert Stunden…!
    Allerdings lädt die Kiste zum Schrauben ein. Das ist schonmal für mich 80% wichtig. Damit kratzt man aber nur an der Oberfläche, interessant wird erst der Phrase Sequencer oder die Morphingfunktion. Sehr lebendige stark modulierende Sounds sind ein Kinderspiel und bereichern jeden Track.
    Ein Geheimtipp!

  4. Theo Bloderer

    … bekomme ich noch selbst Lust auf das Instrument! Wenn er nicht so selten wäre …

  5. Hallo Larry,

    ein sehr guter und stimmiger Bericht über den OB-12 !

    Wer ein Studio mit ausreichend Platz für eine Dauer-Installation besitzt
    und/oder im Bereich NewAge, 80ies oder SpaceMusic unterwegs ist
    sollte sich einen solchen zulegen – zumal das Gerät super als
    MIDI-Keyboard für Softsynths und andere Synths einzusetzen ist.

    Ich selber habe meinen OB-12 verkauft, weil ich kein Studio besitze, mit SoftSynths
    und anderen HardSynths bestens ausgestattet bin und vor allem
    der Klang in der Gänze doch immer „wie aus einer Blechdose“ zu kommen schien.

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