Anyware Instruments Tinysizer – das kompakte Modularsystem

In den Forschungshallen von Thomas Welsch der Firma Anyware Instruments wurde ein neues Wunderwerk der Musiktechnik geschaffen: Der Tinysizer. Wie dem Namen zu entnehmen ist, handelt es sich um einen kompakten (und dennoch äußerst vielseitigen!) Synthesizer.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Der Tinysizer ist ein analoger Modularsynthesizer mit MIDI Interface und digitalen Effekten. Zu den besonders augenfälligen Eigenschaften des Instruments zählt die erstaunlich handliche Größe – dem eines Notebooks entsprechend. Der Klang ist jedoch monströs. Angelehnt an das Oberheim SEM Konzept und wohl ein Relikt aus vergangenen Tagen, als Anyware Instruments den viel beachteten SEMtex baute.

Zudem gibt es eine umfassende Patchbay mit 350 (!) Patch-Punkten und eine Vielzahl interessanter Module, die neben der standardmäßigen Bestückung auch Sub-Oszillatoren, Ringmodulator, Sample & Hold, Waveshaper, Multiples (immer wichtig!) und noch einige mehr umfassen.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

2 Oszillatoren

Die zwei Tonerzeugungselemente im Tinysizer sind VCOs, die – wie schon zuvor angedeutet – auf das bewährte SEM Konzept von Oberheim angelehnt sind. Die Wellenformen Sägezahn und Puls können hier jedoch gleichzeitig ausgegeben werden und nicht alternativ, wie beim originalen SEM. Zudem verfügen die Oszillatoren des Tinysizer über lineare und exponentiale Frequenzmodulation, Sync (In / Out), CV für PWM, unabhängiges Glide, etc.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Der Klang der Oszillatoren ist grandios, sehr fett und eben „analog pur“. In der VCO Abteilung findet man auch den VC Waveshaper, der es zum Beispiel ermöglicht, Sägezahn in eine Dreieckswelle umzuwandeln … spannungsgesteuert, natürlich.

4-fach Mixer

Die Ausgänge der Oszillatoren werden im Mischer zusammengeführt, der wiederum in der Filter Sektion zu finden ist. Nicht ganz überraschend, dies ist ein gängiges Prinzip (man denke zum Beispiel an den ARP-2600).

4 Eingänge sind vorhanden, wovon die ersten zwei über einen Abschwächer (Attenuator) verfügen. Thomas Welsch hat die Eingänge des Mixers so konzipiert, dass es bei starken Eingangssignalen zu einer leichten (und gut klingenden) Übersteuerung kommt. Nennen wir es vielleicht besser „Sättigung“, nun … es kommt auf die Stärke der Übersteuerung an. Jedenfalls ist es dadurch möglich, auf Wunsch sehr „klare“ und einfach nur gut klingende Analogsounds zu haben, oder leicht bis stark verzerrte Sounds … stufenlos und in allen Stärkegraden.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Jeder der vier Kanäle hat einen eigenen Output-Regler, nennen wir es einfach Lautstärkeregler, der eben als Abschwächer verwendet werden kann. Neben dem regulären Signal steht auch das invertierte (!) Signal zur Verfügung, was sehr schön ist. Die gesamte Mischung aller Klänge geht nun zu den „All Out“ Patch-Punkten sowie zu den „All x10 Out“ Patch-Punkten. Letztere sind identisch, aber eben – leicht zu erraten – 10 Mal so laut. Low und High Level … um es in der üblichen Terminologie der Analogfreaks zu sagen.

Natürlich können Audio-Signale ebenso verarbeitet werden wie Steuerspannungen. Das ist vor allem im Zusammenhang mit den Abschwächern und invertierten Signalen sehr vorteilhaft.

Multi Mode Filter

Nicht ganz überraschend lehnt auch das Filter-Konzept an das SEM Modul an. So gibt es drei Filter-Modi: LowPass, HighPass und BandPass … jeweils mit eigenem Ausgang.

Die Filterarten klingen grandios! Wunderbar ist, dass es CV-Eingänge für Frequenz und Resonanz gibt. Dies ist ein (nach wie vor) eher seltenes Feature in der analogen Welt.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

4 VCAs

Es gibt 4 VCAs, jeweils mit einem Eingang, CV-In und natürlich einem Ausgang. Wie schon beim Mischer in der VCF Sektion können die VCAs beliebig für Audio- oder Controller-Spannungen verwendet werden.

Der sozusagen „große“ VCA ist Nummer 4: Er verfügt über Regler für Gain (Eingangslautstärke) und Offset. Sein Ausgang wird zu einer der Jack-Ausgänge auf der rechten Seite des Tinysizer geleitet … was ihn damit zum Haupt-VCA und zum letztlichen Ausgangsmodul des Instruments macht.

Diese Standard-Konfigurierung ist sicher sinnvoll, kann jedoch – wie bei jedem Modular-Synthesizer – umgangen warden, wenn man einen anderen Signalweg bevorzugt.

3 LFOs

Hier weicht der Tinysizer vom Vintage Vorbild SEM dankenswerterweise deutlich ab. Statt des einen (eher langweiligen) LFOs im original sind hier 3 LFOs zu finden.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

LFO 1 und 2 haben zwei Geschwindigkeitsbereiche: Slow und Fast. Ihre Wellenformen sind Sägezahn und Pulswelle, wobei ein SHAPE Regler die stufenlose Überblendung zur Dreieckswelle, zur engen Pulswelle, etc. verfügt. Diese Feature dürften viele Leser vom Korg MS-20 her kennen. Wovon der MS-20 jedoch nur träumen konnte, ist der Sync-Eingang, mit dem sich die Phase ihrer Schwingung auf Null setzen lässt … eine einfach Art der Synchronisation. LFO 3 geht bis in den Audio-Bereich, was sehr schön ist. Er verfügt ausschließlich über eine Dreieckswelle und kann in seiner Geschwindigkeit moduliert werden (FM CV-IN), was natürlich äußerst spannend ist.

2 Hüllkurven

Nun, es gibt eine “schnelle” und eine “etwas langsamere” Hüllkurve. ENV 1, die langsamere, eignet sich naturgemäß besonders für sanftere, weniger zackige, sich entwickelnde Klänge. Streicher, bestimmte Lead-Sounds … alles, was sich eben mit längeren Attack-Zeiten wohlfühlt, wird hiermit bedient.

ENV 2 ist hingegen klarerweise für die knackige Klangabteilung zuständig, für Perkussives, für knarzige Bässe, kurzweilige Effekt-Plips und Plops, angerissene Ringmodulator-Fetzen, dynamische Sequenzer-Sounds, etc.

Jede Hüllkurve hat ihren Gate-Eingang, das ist klar. Zudem gibt es positive und negative ENV-Ausgänge, sehr schön.

FX-Abteilung

Es ist an der Zeit, die analoge Ecke für einen Augenblick zu verlassen und sich einem interessanten Extra des Tinysizer zu widmen: Der digitalen Effekt-Einheit.

Dies passt wirklich einmalig zum Konzept des Tinysizer. Klein, kompakt, mit MIDI … ein ideales Modularsystem für die Bühne, auf der man sich dann auch ein Effektgerät wünscht, mit dem der Klang ideal abgerundet werden kann.

Der Tinysizer verfügt über Delay und Reverb … ausgezeichnet! Es ist das kleine „Extra“ von Anyware Instruments gegenüber der vergleichbaren Konkurrenz am Modularsynthesizer-Markt.

Weitere Module des Tinysizer

Es gibt drei “Multiples”, einen Rauschgenerator (white / pink noise), einen Ringmodulator, Sample&Hold, einen Mikrofon-Vorverstärker, einen Envelope Follower und einen Gate Detector.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Weiters findet man ein sehr umfassendes Midi-CV Interface, das 6 Gate- und 4 CV-Ausgänge bietet. Eine mitgelieferte Software erlaubt die umfangreiche Konfiguration des MIDI Interfaces: Clock Divider, Polyphonic Mode, etc. können am Computer eingestellt werden.

Sehr nützlich ist noch die AUX Sektion. Es gibt 5 Stereo Klinkenstecker-Verbindungen, die mit der Patchbay des Tinysizer gekoppelt sind – Ring und Spitze separat! Somit steht hier ein 10-faches IN/Out System über Normalklinke (Stereo) zur Verfügung.

Dieses IN/OUT System ist deutlich spannender, als man beim bloßen Durchlesen seiner simplen Konstruktion zu denken vermag. So kann auf AUX 1 (Spitze) ein externes Audio-Signal anliegen, während auf demselben Kanal – aber am Ring – das CV-Signal eines der Tinysizer LFOs zur Weiterverwendung für ein externes Modularsystem abegriffen werden kann, währen auf AUX 2 (wieder an der Spitze) das Signal eines zugeführten Hüllkurven-Signals liegt und AUX 3 (Spitze und Ring) als Lieferant der CV/Gate Steuerung des MIDI-Konverters dienen. Diese „Schaltzentrale“ ist also unendlich komfortabel, flexibel und einfach: exzellent.

Darüber hinaus ist es das „Tor zur Außenwelt“, einfach gesagt. Über die AUX Sektion kann der Tinysizer vollwertig und mit allen Steuerspannungen im Studio verbunden werden.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System; Photo (c) Anyware Instruments

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System; Photo (c) Anyware Instruments

Patchbay

Das Steckfeld des Tinysizer mag etwas ungewohnt erscheinen. Ist es auch. Anyware Instruments hat ein spezielles Format der Ultra-Mini-Klinke zum Einsatz gebracht. Jede superkleinen Steckverbindungen, die in der IT-Branche bekannt sind. Wenngleich die dünnen Patchkabel fragil wirken: Sie sind es nicht!

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Die spannende Entdeckung ist, dass dieses Mikro-Steckfeld äußerst präzises und schnelles Arbeiten erlaubt! Jedes „traditionelle“ Steckfeld mit 6,3 mm Klinkenbuchsen wirkt dagegen behäbig, überdimensioniert rustikel, bei einem gleichzeitig archaisch anmutenden (langsamen) Workflow, der in den 70er Jahren wohl imposant, heute jedoch nicht mehr im selben Maße beeindruckend sein dürfte.

Der Tinysizer wird ab Werk mit 40 Patchkabeln ausgeliefert, sehr schön.

Fazit

Der neue Wurf von Anyware-Instruments ist ein äußerst gelungener, vollwertiger Analogsynthesizer, mehr noch, analoger Modularsynthesizer. Das handliche Instrument stellt einen gewissermaßen idealen Synthesizer für unterschiedliche Szenarien dar …

Zunächst wäre da jene Zielgruppe, die über wenig Platz und durchschnittliche finanzielle Ressourcen verfügt, die jedoch in ihrem Projekt-Studio dennoch gerne ein voll- und hochwertiges Modularsystem hätte. Empfehlung: Tinysizer auf die Wunschliste setzen!

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Doch auch Besitzer der großen Boliden – Moog Modularsysteme, Synthesizer.com Systeme, COTK Systeme, MOTM Systeme, etc. – werden dem Tinysizer viel Gutes abgewinnen. Immerhin steuert der „Kleine“ eine enorme Funktionsvielfalt bei, lässt sich über die 10-fache AUX-Sektion flexibel einbinden und ist gleichzeitig mobil genug, um im Falle eines Auftrittes oder einer Session in einem anderen Studio, oder auf der Bühne, ohne großen Aufwand transportiert werden zu können.

Für weitere, bis ins Detail gehende, Informationen, sei das Herunterladen des Tinysizer Manuals (PDF) auf der Anyware Instruments Homepage empfohlen. Es macht deutlich, wie enorm leistungsfähig, gut durchdacht und vielseitig einsetzbar der kleine modulare Synthesizer ist. Gareth hat übrigens das Vorwort des User Manuals geschrieben. Ein weiterer Grund, sich das PDF näher anzusehen!

Hans Zimmer hat einen Tinysizer (was, zugegeben, nicht so ganz überrascht, Hans Zimmer hat „alles“), Gareth Jones hat einen Tinysizer (Produzent von Depeche Mode, Erasure, John Foxx, etc.), ebenso wie Martin Gore und Daniel Miller … klingende Namen in der Kundenliste von Anyware Instruments.

Anyware Instruments Tinysizer - Analog Modular System

Anyware Instruments Tinysizer – Analog Modular System

Es sieht also so aus, als wären demnächst schöne Tinysizer-Klänge auf dem neuen Depeche-Mode Album zu hören …

Die Demos stammen von Autor Javier Zubizarreta. In Demosong Nr. 1 hat Mauro Tarelli mitgewirkt. Alle Sounds der Demos stammen vom Tinysizer. Viel Spaß beim Hören!

Anyware Instruments Tinysizer

Monophoner Modular-Synthesizer

Website Hersteller:
Anyware Instruments – Tinysizer

Download:
Tinysizer Manual (PDF)

Kategorie 2012, Testberichte

Javier Zubizarreta lebt in Buenos Aires, Argentinien. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit Klangforschung. Sein besonderes Talent liegt auch darin, moderne Analoge im Stile der Vintage Analogen zu Programmieren. ------------------------------------------------------------------------------ Javier Zubizarreta lives in Buenos Aires, Argentina. He does excellent electronic sound research since many years. One of his special talents is programming modern, analog synthesizers. He is also an excellent musician.

3 Kommentare

  1. Fränky

    …genauso Hammer wie diese „StreichFett“-Dose :)

  2. Wolfgang

    Ich habe eine gemischte Meinung zum Tinysizer.

    Klanglich fand ich den wirklich toll, auch die Verarbeitung ist ohne Kritik, ebenso der Aufbau und das Design ist alles form-schön und das Prinzip ist zunächst betrachtet eigentlich genial. Bei mir persönlich ist es aber an der Tatsache gescheitert, dass selbst wenn man keine Wurstfinger hat, der rechte Bereich zum Patchen doch zu klein ist. Steckt man fleißig vor sich hin, reißt man mitunter gesteckte Kabel raus. Oder man kommt zwangsläufig gegen ein Kabel und es ertönen Störgeräusche.

    Am Ende war der Frust darüber recht groß, so dass dieses an sich tolle Gerät gehen musste.

    Ich weiß nicht, ob ggf. ein „Doppel“-Modell für ca. 2K Euro am Ende besser gewesen wäre. Ein Modul für die Regler und ein ganzes als Patch-Bereich ggf. mit Euro-Rack-Kabeln. Das hätte ich wohl immer noch bei mir stehen.

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